Über den Wassern
gelebt hatte. Anscheinend machte es ihr nichts aus, herumzuwandern. Vielleicht genoß sie es sogar.
Er nickte bedächtig. »Wieso bist du so sicher?«
»Weil die Sassen niemals eine getroffene Entscheidung umstoßen. Wenn sie was sagen, dann halten sie sich daran. Und die Tötung von Tauchern wiegt offenbar für sie schwerer als die von Speisefischen und Knallern. Sie haben nichts dagegen, wenn wir in der Bucht nach Nahrung fischen. Sie selber essen ja auch Speisefisch. Aber die Taucher, also die sind irgendwie was anderes. Für sie empfinden die Sassen irgendwie eine Art Beschützerinstinkt.«
»Ja«, sagte Lawler, »wahrscheinlich ist das so.«
Sie starrte ihm fest in die Augen. Sie war fast so groß wie er. »Du lebst hier schon lang, was, Lawler?«
»Mein ganzes Leben.«
»Ach. Tut mir leid, dann wird es für dich ziemlich hart werden.«
»Ich werde damit zurechtkommen«, erwiderte er. »Einen zweiten Arzt kann jede Insel brauchen. Sogar so was Halbgebackenes wie mich.« Er lachte. »Sag mal, was macht denn dein Husten?«
»Ich hab kein einziges Mal husten müssen, seitdem du mir dein Dope gegeben hast.«
»Das hatte ich erwartet.«
Auf einmal stand Delagard wieder neben Lawler. Ohne sich für die Gesprächsunterbrechung zu entschuldigen, sagte er: »Würdest du mit mir zu den Gillies gehen, Doc?«
»Wozu?«
»Sie kennen dich und schätzen dich. Du bist der Sohn deines Vaters, und damit hast du ‘nen Stein bei ihnen im Brett. Sie halten dich für einen ernsthaften und ehrenwerten Mann. Und wenn ich versprechen muß, von der Insel fortzugehen, könntest du für mich bürgen und ihnen sagen, ich mein es wirklich ernst, wenn ich verspreche, wegzugehen und nie zurückzukommen.«
»Wenn du ihnen das versprichst, werden sie dir auch ohne meine Hilfe glauben. Sie erwarten einfach nicht, daß irgendein vernunftbegabtes Geschöpf sich zu Lügen erniedrigt, nicht einmal von dir vermuten sie das. Aber damit ist ja immer noch nichts geändert.«
»Geh doch trotzdem mit, Lawler!«
»Es ist Zeitverschwendung. Wir sollten vielmehr darangehen, unsere Evakuierung zu planen.«
»Aber laß es uns doch wenigstens versuchen! Wenn wir das nicht wenigstens tun, wissen wir doch gar nichts.«
Lawler überlegte. »Jetzt gleich?«
»Nein, nach Einbruch der Dunkelheit«, erwiderte Delagard. »Im Augenblick wollen die wirklich niemand von uns empfangen. Sie sind vollauf damit beschäftigt, ihr neues Kraftwerk zu eröffnen. Das haben sie nämlich vor zwei Stunden endlich in Gang gekriegt, mußt du wissen. Und sie haben eine Leitung vom Kai zu ihrem Inselende gelegt, und die transportiert Strom.«
»Wie schön für sie.«
»Wir treffen uns bei Sonnenuntergang drunten am Kai, ja? Und dann gehn wir zusammen zu ihnen rüber und reden mit ihnen. Willst du das machen, Lawler?«
WÄHREND DES NACHMITTAGS saß Lawler still in seinem Vaargh und versuchte sich klarzumachen, was es bedeuten würde, von der Insel fortzumüssen; er werkelte an der Vorstellung herum, drehte und wendete sie, und sie bedrückte ihn. Es fanden sich keine Patienten bei ihm ein. Delagard hatte sein Versprechen am frühen Morgen nicht vergessen und ihm ein paar Flaschen Beerenkraut-Brandy herüberschicken lassen, und Lawler trank ein paar Schlückchen davon, und dann noch ein paar, ohne daß er irgendeine Wirkung verspürt hätte. Er überlegte, ob er sich noch eine Dosis von seinem Tranquilizer gönnen dürfe, aber irgendwie erschien ihm das nicht als besonders klug. Außerdem war er sowieso momentan ruhig genug; ihn beherrschte nicht die übliche Rastlosigkeit, sondern eher eine Art dumpfer geistiger Lähmung, eine schwer auf ihm lastende Niedergeschlagenheit, und dafür waren seine rosa Tropfen kaum ein brauchbares Antidot.
Ich werde von der Insel Sorve fortgehen, dachte er.
Ich werde an einem anderen Ort sein, auf einer Insel, die ich nicht kenne, unter Menschen leben, von denen ich nicht ihre Namen weiß, nicht ihre Herkunft, und deren inneres Wesen mir ein absolutes Rätsel sein wird.
Er sagte sich, das wird schon gutgehen, und in ein paar Wochen fühlst du dich auf Thibeire, Velmise, Kaggeram oder wie immer die Insel heißen wird, auf der du dich schließlich niederläßt, ebenso heimisch wie auf Sorve. Aber er wußte auch, daß dies nicht stimmte. Dennoch redete er sich das unablässig ein.
Sich damit abzufinden, das schien zu helfen. Hinnahme, vielleicht gar Gleichgültigkeit. Das Blöde war nur, daß er nicht beständig auf diesem reduzierten
Weitere Kostenlose Bücher