Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ueber die Wupper

Ueber die Wupper

Titel: Ueber die Wupper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Noske
Vom Netzwerk:
auch nicht viel von ihm zu sehen war. Lediglich ein
Büschel grauer Haare, plattgedrückt von
Kopfhörerbügeln mit einer kleinen Empfangsantenne. Max
ging halb um den Sessel herum.
    In dem Sessel
saß ein hagerer Mann in einem weinroten Hausmantel, den Kopf
angelehnt und mit geschlossenen Augen. An der Stirn hatte er eine
üppige blau-grüne Schwellung. Aber er war keineswegs tot.
Und er war Rechtshänder. 
    Zu erkennen war das
daran, daß der Mann den Hausmantel zurückgeschlagen
hatte. Mit seiner Rechten bearbeitete er rhythmisch seinen
erigierten Penis.
    *
    Max verließ das
Zimmer so unbemerkt, wie er gekommen war. In der Küche warf er
einen Blick in den Kühlschrank. Der war üppig
bestückt. Schwarzwälder Schinken, mittelalter Gouda,
Orangenmarmelade. Und zwei Flaschen Wicküler. Wichser-Pils,
aber Max hatte Durst.
    Den Kronkorken
entfernte er mit dem Feuerzeug, lehnte sich an die Spüle, nahm
einen langen Zug, schüttelte sich und wartete.
    Es dauerte. Der
Sekundenzeiger der Wanduhr zog zitternd seine Runden. Der Kerl
hatte Ausdauer.
    Nach acht Minuten und
zwanzig Sekunden signalisierte ein kehliges Stöhnen, daß
er es geschafft hatte. Max ließ ihm noch eine Minute zum
Verschnaufen, dann ging er wieder ins Wohnzimmer.
    Der Mann saß
noch immer unter seinen Kopfhörern in dem Ohrensessel und
bemerkte ihn nicht. Nach einem Abstecher zum Kamin ging Max zu der
Stereo-Anlage, drehte den Lautstärkeregler auf maximal, nahm
den Tonarm und schob ihn einmal quer über die
Platte.
    Mit einem
bestialischen Geheul schoß der Mann in die Höhe und
riß sich die Kopfhörer herunter. Er fuhr herum,
entdeckte Max und erstarrte. Der Hausmantel war inzwischen
zugebunden.
    Max studierte den
Mann. Um die sechzig, eins achtzig und hager. Ein extrem langer und
dünner Hals, aus dem der Adamsapfel wie ein Dorn herausragte.
Schmale Lippen. Hakennase. Die zurückgewichenen Haare grau und
kraus wie Steinwolle. Dunkle Augen, aus denen Panik loderte. Immer
wieder huschte der Blick des Mannes zwischen Max und dem Kamin hin
und her.
    »Ist
nicht«, sagte Max und holte den Schürhaken hinter seinem
Rücken hervor. »Setzen Sie sich
wieder.«
    Es bedurfte eines
sanften Stübers mit dem Haken, dann plumpste der Mann in
seinen Sessel zurück. Max blieb stehen.
    »Haben Sie das
abonniert?« fragte Max und stieß das Color-Magazin mit
dem Eisen vom Beistelltischchen. Lolita '94 Sonderheft stand vorne
drauf.
    Der Mann mußte
heftig schlucken und raffte den Hausmantel vor der Brust zusammen.
»Was … was wollen Sie? Geld?«
    Max stützte sich
auf den Schürhaken wie auf einen Spazierstock. »Ein paar
ehrliche Antworten genügen fürs erste. Sie sind Jacques
Huberty?«
    Der Mann
nickte.
    »Dann
erzählen Sie mal, wann und wo Sie Tanja Werner kennengelernt
haben.«
    Hubertys Augen wurden
schmal. »Gehören Sie etwa auch zu der Diebesbande um
dieses kleine Luder?«
    Max baute sich
breitbeinig auf und ließ den Schürhaken in die Hand
klatschen: »Die Spielregel lautet: Ich frage, Sie
antworten.«
    Max holte aus und
schlug zu. Das Beistelltischchen zersplitterte krachend in zwei
Teile.
    Max schämte sich
dieses Jerry-Cotton-Gehabes, aber es wirkte. Huberty riß die
Augen auf und kroch tiefer in seinen Sessel.
    »Also, wann und
wo?« knurrte Max.
    Huberty feuchtete
seine Lippen an. »Letzte Woche Samstag. Am frühen Abend.
Sie stand an der Autobahnauffahrt. Als
Anhalterin.«
    »Welche
Auffahrt?«
    »Wuppertal-Süd.«
    »Wohin wollte
sie?«
    »Das war ihr
egal.«
    »Weshalb haben
Sie sie mit nach Hause genommen?«
    »Es ergab sich
einfach«, sagte Huberty. »Und sie tat mir
leid.«
    Max grinste.
»Kein anderes Motiv?«
    »Ich sehe, Sie
glauben mir nicht, wegen dieses Heftchens.« Huberty
bemühte sich, seine Würde zurückzugewinnen.
»Mit diesem Mädchen war das anders. Sie war so
rein.«
    »Was soll das
denn heißen?«
    »Wie soll ich es
Ihnen erklären?« Huberty faßte sich an die
Schläfe. »Sie wirkte unverdorben, nicht so
kaltschnäuzig, wie das heute üblich ist. Im Autoradio
lief Chopin. Sie fragte, was das sei, und ich sagte es ihr. Die
Musik gefiel ihr.«
    »Wie ging es
weiter?«
    »Wir sprachen
über Musik. Das heißt, sie stellte Fragen, und ich
beantwortete sie. Und auf einmal waren wir hier. Sie ist wie
selbstverständlich mit hereingekommen.«
    »Weiter«,
sagte Max.
    »Wir waren
essen, im Altenberger Hof«. Huberty zeigte einen Anflug von
Heiterkeit. »Mein Gott, das Mädchen kannte nicht einmal
ein Fischbesteck. Aber sie ließ es

Weitere Kostenlose Bücher