Über Gott und die Welt
gesprochen wird?).
Wenn andererseits das Museum of Magic and Witchcraft in San Francisco die Rekonstruktion einer original-mittelalterlichen Hexenküche präsentiert, mit staubbedeckten und von Spinnweben überzogenen Möbeln, Kommodenschränken, die in allerlei Fächer und Schubladen unterteilt sind, aus denen Kröten herauslugen, giftige Kräuter, Krüge mit seltsamen Wurzelknollen, Phiolen mit grünlichen Säften, Destillierkolben, Amulette, kleine Puppen, die von Nadeln durchstochen sind, Knochenhände, Blumen mit mysteriösen Namen, Adlerschnäbel, Gebeine von Neugeborenen –
dazu im Hintergrund herzzerreißende Schreie von jungen Hexen, die zum Scheiterhaufen geschleppt werden, und aus der Ecke des dunklen Ganges fl ackernde Flammen der Autodafés –, dann überwiegt angesichts dieser perfekten audiovisuellen Show, die eine Louise Nevelson oder den frühen Del Pezzo vor Neid er-blassen ließe, der theatralische Eindruck. Für den Gebildeten die frappante Gekonntheit der Inszenierung, für den Naiven die bestürzende Eindringlichkeit der Information – für jeden etwas, also worüber klagen? Tatsache ist, daß die historische Information sich als Sensationsstory präsentiert, Wahres vermischt sich mit Legendärem, die Hexe Eusapia Palladino erscheint (in Wachs) nach Roger Bacon und Doktor Faustus, der Gesamteindruck ist absolut phantastisch, ein wirrer Traum …
Zu den Meisterwerken der Rekonstruktionsbemühung (und des Bestrebens, »mehr« zu bieten, also »besser« zu sein) gelangt man indessen erst, wenn diese Industrie der totalen Ikonizität das Problem der Kunst angeht.
Auf der Reise von San Francisco nach Los Angeles hatte ich das Glück, sieben wächserne Reproduktionen des Abendmahls von Leonardo zu sehen. Einige sind primitiv und unbewußt ka-rikierend, andere sorgfältiger, wenn auch nicht weniger schlimm verunglückt in ihrer grellen Wiedergabe der Farben und ihrer gefrorenen Mimikry dessen, was Leonardos Vibrato war. Alle prä-
sentieren sich neben Vergleichsmustern des »originalen« Vorbilds, und naiverweise erwartet man nun vielleicht, bedenkt man die Entwicklung der photomechanischen Reproduktionstechnik, daß diese Vergleichsmuster erstklassige Farbkopien des originalen Freskos sind. Irrtum, denn mit dem Original verglichen könnte die dreidimensionale Kopie ja abfallen. Also stellen sich zum Vergleich mit der wächsernen Nachbildung mal eine Minireproduktion in Holzschnitzerei, mal eine Gravur aus dem 19. Jahrhundert, mal ein moderner Wandteppich, mal eine Bronze. Begleitet von einer Kommentarstimme, die insistierend auf die enorme Ähnlichkeit der Wachsfi gur hinweist, und angesichts derart kümmerlicher Modelle ist die Wachsfi gur zweifellos überlegen. Auch entbehrt die Lüge nicht einer gewissen Rechtfertigung, denn das Kriterium der Ähnlichkeit, das lang und breit dargelegt und analysiert wird, bezieht sich nie auf die formale Ausführung, sondern immer nur auf das Sujet: »Beachten Sie, wie exakt Judas dieselbe Haltung einnimmt, wie Sankt Matthäus …« usw.
Gewöhnlich erfolgt die Epiphanie des Abendmahls im letzten Saal, mit symphonischer Backgroundmusik in einer Atmosphäre von Son et Lumière. Nicht selten tritt man in einen Raum, und das wächserne Abendmahl ist hinter einem Vorhang, der sich langsam öffnet, indes eine Tonbandstimme feierlich tief und ergreifend verkündet, man werde nun eine der außergewöhn-lichsten spirituellen Erfahrungen seines Lebens machen, von der man hernach allen Freunden und Bekannten erzählen müs-se. Alsdann folgen Informationen über Christi Erlösermission und die Außerordentlichkeit des dargestellten Ereignisses, zusammengefaßt mit Bibelzitaten. Schließlich Hinweise auf Leonardo, das Ganze durchdrungen von tiefer Ergriffenheit angesichts des Mysteriums der Kunst. In Santa Cruz präsentiert sich das Abendmahl sogar allein, als einzige Attraktion, in einer Art Kapelle, gestiftet von einem Bürgerkomitee zum doppelten Zwecke der spirituellen Erhebung und der Feier des Ruhmes der Kunst. Hier gibt es insgesamt sechs Reproduktionen zum Vergleich mit der Wachsnachbildung: einen Stich, einen Kupferguß, eine Farbkopie, eine geschnitzte Nachbildung »aus einem einzigen Holzblock«, einen Wandteppich und einen Reprodruck einer Reproduktion auf Glas. Sakrale Musik, ergrif-fene Stimme, ein altes Weiblein mit Brille nimmt des Besuchers Spende entgegen, Verkauf von gedruckten Reproduktionen der wächsernen Reproduktion nach Reproduktionen in Holz,
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