Über jeden Verdacht erhaben
führte ihn durch ein labyrinthisches System von Gängen und Treppen zu einem Ausgang, von dem er noch fünf Minuten zu Fuß zurückzulegen hatte, um zu seiner vermuteten Bleibe zu gelangen. Das Grand Hotel in Lund war schon jetzt von Polizeibeamten umringt und mit rot-weiß gestreiften Bändern und Aluminiumzäunen abgesperrt. Doch das war nur ein Ablenkungsmanöver. Man hatte Carl und seine Leibwächter im Hotel Lundia einquartiert, das gut hundert Meter entfernt lag. Und vor dem Hotel Lundia waren keine Polizeibeamten zu sehen. Als sie in den Park zwischen dem Hauptgebäude der Universität und der Akademischen Vereinigung hinauskamen, teilten sie sich schnell. Zwei seiner Leibwächter gingen nach links, um über die Klostergatan zum Grand Hotel zu gehen, die Lage zu sondieren und kurz mit den dort postierten Polizeibeamten zu sprechen. Carl und die beiden anderen Leibwächter bogen nach rechts ab, um über die Sankt Petri Kyrkogata zur Bytaregatan zu gehen, in der das Hotel Lundia lag. So sah es der sorgfältig erarbeitete Plan vor.
Es war zu spüren, daß der Winter vorbei war. Es war schon zwanzig Minuten nach zehn, aber noch immer nicht stockdunkel. Überall blühte Winterwolfskraut. Carl entdeckte an einigen Stellen sogar Krokusse. Die Blätter von Osterglocken und sogar Tulpen waren schon aus der Erde gekommen, und es roch stark nach Frühling, vielleicht weil es den ganzen Tag geregnet hatte und der Himmel erst gegen Abend wolkenlos geworden war.
Carl fühlte sich erleichtert. Er würde nie mehr öffentlich auftreten, zumindest nicht vor Studenten. Er hatte sich sorgfältig darauf vorbereitet, daß das Letzte, was er zu sagen hatte, gut geriet. Besser als die stümperhaften Vorübungen in Umeå und Uppsala.
Wieder erlebte er dieses Gefühl, innerlich vollkommen rein zu sein wie Wasser. Schon bald würde alles vorbei sein. Er hatte alles zu Ende geführt, was er sich vorgenommen hatte. Jetzt konnte es nicht mehr mißlingen.
Natürlich war es noch zu früh, sich hinzulegen und zu schlafen. Er war nach seinem Auftreten noch viel zu aufgedreht. Arbeit hatte er nicht mitgenommen, das hätte nur zu Schwierigkeiten bei der Bewachung geführt. Dafür hatte er ein paar neue russische Romane dabei, die er bei seinem letzten Besuch in Moskau gekauft hatte. Die Umschläge waren schrecklich – es ging um Mafia, Sex und Gewalt. Es interessierte ihn jedoch, wie eine neue Generation russischer Schriftsteller ihre Zeit darzustellen versuchte. Er würde wahrscheinlich ein paar Stunden lesen können, bevor er einschlief. Der nächste Tag in Stockholm war schon mit Konferenzen verplant.
9
Ali Hussein Fadlallah wurde am Morgen nach Carls Vortrag in der Akademischen Vereinigung im Botanischen Garten von Lund gefunden. Er lag unter einigen Edeltannen, ungefähr fünfzig Meter vom Eingang durch den Eisenzaun an der Ecke Östra Vallgatan und Trekanten entfernt.
Daß er tot war, war leicht zu erkennen, da er die ganze Nacht dort gelegen haben mußte. Am frühen Morgen hatte es einige kräftige Regenschauer gegeben. Der Mann, der ihn fand, war ein Hausmeister, der als erster zur Arbeit im Botanischen Institut erschien, das gleich neben dem Tatort lag. Er hatte die Vernunft besessen, nichts anzurühren, sondern lieber gleich die Polizei angerufen.
Die Leiche wies keine deutlichen äußeren Spuren von Gewaltanwendung oder Kampf auf, wenn man davon absieht, daß die Armbanduhr am linken Handgelenk ein zerschmettertes Glas aufwies. Sie war um dreizehn Minuten nach neun stehengeblieben.
Zunächst drängte sich der Gedanke an einen Raubüberfall auf, doch als man den Leichnam zur Obduktion in das Universitätskrankenhaus gebracht hatte und dort die Kleidungsstücke des Opfers durchsuchte, fand man seine Brieftasche mit allen Ausweisen und gut zwölfhundert Kronen in bar. Außer seiner Armbanduhr, einem relativ teuren Zeitmesser, hatte der Mann auch eine Goldkette mit einem Miniatur-Koran behalten dürfen, den er am Hals trug. Von einem Raubüberfall konnte also keine Rede sein.
Als Rune Jansson zwei Tage später seine Kollegen in Lund anrief – erst da hatte er von dem Ereignis erfahren –, war er voll böser Vorahnungen. Er brauchte nicht viele Fragen zu stellen, um zu erkennen, daß er nach Lund reisen mußte, um noch eine lokale Polizeibehörde in die laufende Ermittlung einzuschalten. Entscheidend war, wie der Mord durchgeführt worden war, nämlich auf eine Weise, von der man in Lund noch nie etwas gehört hatte. Dem
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