Ueberdosis
Mädchen aussieht?« gurrte sie. »Ich meine, wo doch all deine Freunde noch immer auf dem Südfriedhof liegen, hm?«
Markesch entschied, daß der richtige Moment gekommen war, das Café zu verlassen und sich auf die Suche nach Michael Maaßens Mörder zu machen. Sophie sah ihm mit dem trägen, selbstzufriedenen Ausdruck einer satten Katze nach, die nicht aus Hunger, sondern nur aus Gewohnheit ihr Killerspiel mit der Maus getrieben hatte. Die Parkstudenten unterhielten sich noch immer über das Ende der Welt; daß die Polkappen schmelzen und halbe Kontinente überfluten würden, schien sie in Ekstase zu versetzen.
Der Regen war wieder stärker geworden und machte jeder Dusche Konkurrenz. Als Markesch seinen unweit vom Café abgestellten Wagen erreichte, war er bis auf die Haut durchnäßt und überzeugt, daß die Parkstudenten über hellseherische Fähigkeiten verfügten, was die Überflutung der Kontinente betraf.
Sein Wagen war ein klappriger, rostbraun lackierter Ford, der jeden Betrachter im Unklaren ließ, wo der Lack aufhörte und der Rost begann. Er mußte kurz nach Henry Fords berühmten Modell T vom Fließband gerollt sein, oder zumindest in den frühen sechziger Jahren, zu Beginn der Massenmotorisierung, die dem Tod im Straßenverkehr den Flair des Exotischen genommen hatte.
Markesch stieg mit finsterem Gesicht ein.
Er dachte zuviel an den Tod. Es war Sophies Schuld. Sophie brachte ihn immer auf morbide Gedanken. Sie war vor kurzem achtzehn geworden, und vielleicht hatten Achtzehnjährige das Recht, jeden über Dreißig für einen lebenden Leichnam zu halten. Aber er glaubte nicht, daß er sich je daran gewöhnen würde. Nicht, wenn er an ihren Schmollmund dachte, ihre Schlafzimmeraugen, ihre Apfelbrüste.
Markesch ließ den Wagen an und gab Gas. Stotternd und hustend rollte der klapprige Ford über die Berrenrather Straße. Das Uni-Center war nur zwei Minuten Fußweg entfernt, doch bei diesem Wetter war jeder Fußgänger eine potentielle Wasserleiche, und außerdem beabsichtigte Markesch, nach dem Abstecher in Michael Maaßens Hochhausapartment in die Innenstadt zu fahren und Susanne Großmann einen Besuch abzustatten.
Er fuhr durch den Regen und entschied, bei der nächsten Gelegenheit eine Schwimmweste zu kaufen.
Das Apartment lag im zwölften Stock des Uni-Centers, das wie ein heidnisches Monument oder wie eine Kathedrale des Industriezeitalters in den wolkenschweren Himmel ragte. An klaren Tagen mußte die Aussicht atemberaubend sein, aber der letzte klare Tag hatte sich schon vor Jahren verabschiedet, und so mußte man sich mit einem Blick auf die schmutzigen Konturen des Doms und des Fernsehturms begnügen.
Das Apartment war von der Art, wie es Schwalben bevorzugt hätten, wären sie in der Lage gewesen, das Geld für die Miete aufzutreiben. Die Architekten hatten offenbar fieberhaft nach einer schnellen, endgültigen Lösung für das Kölner Wohnungsproblem gesucht und sie in der renditeträchtigen Schuhkartonbauweise gefunden.
Elvira Maaßen öffnete ihm die Tür, und als sie beide im Zimmer standen, begann Markesch zu ahnen, welche Schrecken sich hinter dem harmlosen Begriff Klaustrophobie verbargen.
Sie trug einen maßgeschneiderten Nadelstreifenanzug und einen schwarzen Hut mit elegant geschwungener Krempe, die bei jeder Kopfbewegung geschmeidig auf und ab wippte. Vielleicht lag es daran, daß sie heute noch keine Zeit gefunden hatte, ihre geniale Kosmetikerin aufzusuchen, oder der Lifteffekt ihrer letzten Schönheitsoperation ließ nach – jedenfalls wirkte sie um zehn Jahre älter als bei ihrem gestrigen Auftritt im Café Regenbogen.
»Ich habe Sie erwartet«, sagte sie, und Markesch war erleichtert: ihre Stimme hatte sich nicht verändert. Sie klang noch immer wie eine verbale Werbung für Tiefkühlprodukte. »Meine Sekretärin rief mich an und sagte, Sie hätten mit ihr gesprochen.«
Markesch nickte und warf einen flüchtigen Blick durch das Zimmer. Die Einrichtung hatte etwas klinisch Unpersönliches an sich; es gab zwei mit weißem Segeltuch bespannte Aluminiumgestelle, die Markesch mit einigem Wohlwollen als Sessel identifizierte; ein ovales Gebilde aus Rauchglas und Aluminium, das die Bezeichnung Tisch verdient hätte, wäre es groß genug gewesen, um mehr als einem Aschenbecher Platz zu bieten; eine Schlafcouch, ganz in Weiß; einen verspiegelten Kleiderschrank, schmal und schräg, ein stummer Rebell gegen die Diktatur des rechten Winkels; und einen
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