Ueberdosis
nicht zu ihr. Es war so unecht wie Lukas Hommbergs Lachen am Telefon. »Sie müssen mich für sehr eifersüchtig halten. Für kindisch.«
Markesch legte das zerknitterte Foto auf den Schreibtisch. »Sie sind meine Klientin«, erinnerte er. »Sie bezahlen mich dafür, daß ich die Umstände aufkläre, die zum Tod Ihres Sohnes geführt haben. Glauben Sie, daß Susanne Großmann etwas damit zu tun hatte?«
»Natürlich nicht.« Sie bedachte ihn mit einem kalten Blick, und er war froh, daß sie wieder zu ihrem wahren Selbst zurückgefunden hatte. »Sie ist ein Mädchen aus guter Familie. Ihre Eltern betreiben in Duisburg eine Kette von gutgehenden Einzelhandelsgeschäften.«
Das schloß offenbar die Beteiligung an einem Mordkomplott aus.
So etwas, dachte Markesch, nennt man ein hochentwickeltes Klassenbewußtsein.
»Wie war das Verhältnis zwischen Ihrem Sohn und Ihrem Schwager?«
Genau wie Anna Singer zögerte sie den Bruchteil einer Sekunde, ehe sie antwortete. »Gut. Ausgezeichnet. Natürlich ausgezeichnet. Warum?«
Natürlich ausgezeichnet, dachte Markesch. Und Michael war natürlich ein vernünftiger, glücklicher Junge. Außerdem kam seine Freundin natürlich aus gutem Hause. Und seine Mutter gab ihm natürlich alles, was er brauchte.
Es widerte ihn an.
Es klang wie das Skript einer Seifenoper.
Man konnte fast vergessen, daß dieser gesegnete junge Mann auf der Bahnhofstoilette an einer Überdosis Heroin verreckt war.
Markesch sah aus dem Fenster, um die bedrückende Enge des Apartments zu vergessen. Warum hatte Michael diesen Schuhkarton gemietet? Warum war er nicht in der Marienburger Villa seiner Mutter geblieben?
»Haben Sie die Miete bezahlt?« Er wandte sich vom Fenster ab.
Sie schüttelte den Kopf. Langsam, fast widerwillig. Als müßte sie sich zu diesem Geständnis durchringen. »Nein. Ich hätte es natürlich getan, aber mein Sohn wollte es nicht. Vielleicht hatte er das Gefühl, auf eigenen Beinen stehen zu müssen. Nun, Sie wissen, wie Jungen in diesem Alter sind.«
»Sicher«, nickte Markesch. »Hatte Ihr Sohn Freunde, die mir vielleicht weiterhelfen können? Unter seinen Kommilitonen, zum Beispiel?«
»Nein. Michael war schon immer ein Einzelgänger. Er interessierte sich nur für sein Studium.« Etwas gezwungen fügte sie hinzu: »Und natürlich für seine Freundin.«
»Natürlich.« Markesch ging zur Tür. »Im Moment wäre das alles. Wenn ich noch Fragen habe, wende ich mich an Sie. Oder an Ihre Sekretärin.« Er öffnete die Tür.
»Wann bekomme ich Ihren ersten Bericht?«
»Sobald es etwas zu berichten gibt.«
Er zog die Tür hinter sich zu, und auf dem Weg durch den Wurmkanal, den die Architekten anstelle eines Korridors eingeplant hatten, fragte er sich, was für ein Typ Frau Elvira Maaßen wirklich war.
Die kühle, beherrschte Pharma-Millionärin, die mit ihrem Scheckbuch die Wahrheit über den Tod ihres Sohnes kaufen wollte, und zwar eine Wahrheit, die ihrer gesellschaftlichen Stellung entsprach?
Die Hysterikerin, die sich in eine fixe Idee verrannt hatte, weil sie die schmutzige Realität nicht ertragen konnte?
Oder die liebende Mutter eines Bilderbuchsohns, der ohne jeden Grund von einem – zweifellos wahnsinnigen – Mörder auf der Toilette des Kölner Intercity-Restaurants zu Tode gefixt worden war?
Als er mit dem Aufzug nach unten fuhr, kam ihm ein weiterer Gedanke. Vielleicht ging es Elvira Maaßen weniger um ihren Sohn und mehr um sich selbst. Der Sprößling einer schwerreichen Kölner Industriellenfamilie ein Junkie, der sich auf einem Klo den goldenen Schuß gesetzt hatte … Es klang wie der Alptraum einer jeden Familie aus dem deutschen Geldadel.
Die High Society beim Wort genommen …
Der Aufzug bremste ab, und Markesch war überrascht, daß ihn die Fliehkräfte nicht gegen die Decke der Kabine schmetterten. Sein Gedanke erschien ihm immer plausibler. Er konnte sich nicht daran erinnern, in den Zeitungen etwas über Michael Maaßens Tod gelesen zu haben. Verdammt, die Umstände schrien geradezu nach fetten Schlagzeilen in der Boulevardpresse, etwa PHARMA-JUNKIE STARB AUF BAHNHOFSKLO oder MILLIONENSCHWERER TABLETTENERBE NAHM ÜBERDOSIS HEROIN.
Warum hatten die Zeitungen nicht darüber berichtet? Weil Elvira Maaßen ihren Einfluß geltend gemacht hatte? Die Schlußfolgerung lag nahe.
Markesch beschloß, sich ein wenig mit dem Umfeld der Familie zu beschäftigen. Das kann Archimedes erledigen, dachte er. Der Grieche kennt jeden in dieser Stadt – oder
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