Ueberdosis
sah aus dem Fenster und wartete darauf, daß die Kopfschmerztabletten der Maaßen Pharma AG zu wirken begannen. Die Aussicht war nicht geeignet, seine Stimmung zu heben: Der Himmel war von schmutzigen Wolken bedeckt, der Regen hing wie ein graues Gespenst in der Luft und die Passanten, die durch den trüben Morgen schlurften, erinnerten ihn an Gestalten aus einem von Romeros besseren Zombie-Filmen.
Markesch zog sich an, warf die speckige Lederjacke über die Schulter und verließ die Wohnung. Draußen empfing ihn kalter Wind, der die Regentropfen wie Derwische tanzen ließ. Er zog den Kopf zwischen die Schultern und legte das Dutzend Meter zum Café Regenbogen im Laufschritt zurück.
Im Café war es angenehm leer; lediglich an dem Tisch, an dem gestern Nacht die Blondine auf ihren Stahlschrankfreund gewartet hatte, saßen vier Parkstudenten und palaverten über den Nihilismus in Becketts Werken und den deprimierenden Geiz der Bafög-Behörde. Hinter der Theke stand Sophie, eine betörend schöne Brünette mit Schlafzimmeraugen und Schmollmund, die für Markesch so unerreichbar war wie der Mond.
Sophie zog träge an einer Mentholzigarette und verfolgte mit unverhohlener Abneigung, wie sich Markesch an seinem Arbeitsplatz unmittelbar vor dem Tresen niederließ.
»Offenbar werden die Gräber immer früher geöffnet«, sagte sie mit einer Stimme, die sogar einen Eunuchen verführt hätte. »Wieso bleibt ihr Grufties eigentlich nicht in euren Särgen liegen? Nur um aller Welt zu beweisen, daß ihr wirklich tot seid?«
»Wenn man so jung ist wie du, mein Kind«, sagte Markesch nachsichtig, »kommt einem jeder, der bereits laufen kann, uralt vor. Was hältst du davon, deinen Laufstall zu verlassen und mir einen Kaffee und das Telefon zu bringen?«
»Das Telefon mit Milch und Zucker?«
»Es genügt, wenn der Kaffee nicht gesperrt ist.« Markesch entspannte sich. Es tat gut zu wissen, daß man geliebt, bewundert und begehrt wurde. Vor allem an einem verkaterten Morgen wie diesem.
Die Parkstudenten hatten das deprimierende Befög-Thema inzwischen fallengelassen und diskutierten über das Ende der Welt; es schien ihnen Spaß zu machen. Markesch spürte, wie sich seine Stimmung mit jeder Minute verbesserte. Sophie brachte ihm den Kaffee, das Telefon und einen verschlossenen Briefumschlag.
»Der wurde vor einer Stunde für dich abgegeben«, sagte sie. »Ich schätze, es ist deine Sterbeurkunde, auf die du schon seit Jahren wartest.«
Er grinste wölfisch. »Es muß mein Jagdschein sein. Endlich ist er da! Genau zum richtigen Zeitpunkt – die Schonzeit für Jungfrauen ist heute zu Ende gegangen.«
Sophie zog sich fluchtartig hinter den Tresen zurück, und Markesch öffnete den Briefumschlag. Ein Verrechnungsscheck über fünftausend Mark und eine handschriftliche Notiz von Lukas Hommberg, daß er davon ausging, daß Markesch den Fall wie besprochen übernahm. Der Scheck war auf Hommbergs Privatkonto ausgestellt, nicht auf das Firmenkonto der Maaßen-Pharma-AG. Natürlich; Hommberg legte größten Wert darauf, daß seine Schwägerin nichts von seiner Verbindung zu Markesch erfuhr.
Der Scheck rettete den Morgen endgültig.
Markesch zog Elvira Maaßens Visitenkarte aus der Tasche und wählte ihre Nummer; eine Marienburger Adresse. Es wunderte ihn nicht. Eine Frau wie sie konnte nur im teuren Kölner Villenviertel wohnen.
Die Stimme, die sich meldete, gehörte nicht Elvira Maaßen. Sie klang zu fraulich, zu warm, zu anschmiegsam. Sie klang wie eine Stimme, die selbst den hartnäckigsten Junggesellen dazu bringen konnte, die Möglichkeit einer Heirat in Erwägung zu ziehen, nur um morgens von ihr geweckt zu werden.
»Frau Maaßen ist zur Zeit nicht im Hause. Kann ich etwas ausrichten?«
»Mein Name ist Markesch«, sagte er. »Ich muß mit Frau Maaßen persönlich sprechen. Wo kann ich sie erreichen?«
»Markesch? Oh, der Privatdetektiv, natürlich, die gnädige Frau hat mich informiert. Ich bin Anna Singer, Frau Maaßens Sekretärin. Ich bin beauftragt, Ihnen alle Fragen zu beantworten.«
»Tatsächlich alle? Großartig! Sind Sie verheiratet?«
Kurzes verwirrtes Schweigen. Dann, wesentlich kühler, wesentlich weniger anschmiegsam: »Ich glaube nicht, daß die Beantwortung dieser Frage Ihnen in irgendeiner Form helfen wird, die Umstände aufzuklären, unter denen der junge Herr ums Leben kam.«
»Sehr richtig; Sie haben recht. Aber mir ging gerade durch den Kopf, wie wundervoll es wäre, jeden Morgen von Ihrer
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