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Ueberdosis

Ueberdosis

Titel: Ueberdosis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziegler
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mehr; die untergehende Sonne mischte orangerote Flecken in das Grauschwarz der Regenwolken, die mit der einbrechenden Nacht alle Schleusen öffneten und die Straßen in rauschende Wildbäche verwandelten. Markesch parkte am Rand der großen Baugrube, die wie ein offenes Massengrab im Herzen der Südstadt klaffte, ein Grab für die Pläne und Hoffnungen zahlloser Menschen, die jahrelang um den Erhalt der alten Stollwerck-Fabrik gekämpft hatten.
    Die Straße war leer, der Platzregen spielte mit dem Abfall und den Flaschenscherben, und die grauen Häuser zu beiden Seiten erinnerten an Gefängnismauern. Hinter den hellen Rechtecken der Fenster bewegten sich Schatten, wie Wesen von einem anderen Stern, ins Exil verbannt auf die Welt des großen Regens.
    Markeschs Kopfschmerzen waren wieder schlimmer geworden, und er spülte zwei Tolimadoltabletten mit einem Schluck aus der Whiskyflasche im Handschuhfach hinunter.
    Er beobachtete die Straße, aber sie blieb leer.
    Natürlich blieb sie leer. Was hatte er erwartet? Eine Armee von BKA-Agenten? Eine Horde schwerbewaffneter spanischer Killer? Paranoia, dachte Markesch. Gott, das hat mir gerade noch gefehlt! Zumindest werde ich nicht mehr einsam sein. Mit Verfolgungswahn ist niemand allein.
    Unwillkürlich griff er in die Innentasche seiner Lederjacke und berührte das kühle Metall der Magnum. Es war ein gutes Gefühl. Beruhigend. Es tat gut zu wissen, daß im Ernstfall eine zuverlässige Freundin wie die Magnum in Griffweite war.
    Markesch stieg aus und hastete mit gesenktem Kopf durch den Regen. Der Hauseingang verschluckte ihn, ohne daß er – wie er halb befürchtet hatte – von Barnys abgewrackter Nachbarin aus dem ersten Stock entdeckt und erneut beschimpft wurde. Die Haustür schwang auf, als er sich mit der Schulter anlehnte, und gab den Weg in ein schmutziges, düsteres Treppenhaus frei. Der Verputz blätterte von den Wänden, auf dem Boden lagen alte Zeitungen und durchweichte Reklamesendungen, und in dem Durchgang neben der Treppe stapelten sich pralle Mülltüten. Es roch nach Unrat und unerfüllten Träumen.
    Er drückte auf den Lichtschalter, doch das einzige Ergebnis war ein scharfes Knacken im Verteilerkasten. Langsam stieg er die knarrende, ausgetretene Holztreppe hinauf. An der Tür im ersten Stock klebte ein kleines Plakat, das drei glubschäugige, knollennasige Comic-Polizisten zeigte, mit der Aufschrift WIR MÜSSEN DRAUSSEN BLEIBEN. Das dünne Quäken eines Radiosprechers drang durch die Tür und verlor sich in der Dunkelheit. Markesch ging weiter und erreichte den zweiten Stock.
    Er klopfte.
    Nichts.
    Alles blieb still.
    »Barny?« Markesch klopfte erneut. »Ich bin’s, Barny. Markesch.«
    Stille.
    Markesch fluchte. Dieser verdammte Junkie! Wo steckte er? Hatte er sich irgendwo einen Schuß gesetzt und dann die Verabredung vergessen? Markesch sah auf seine Uhr; in zwei Stunden mußte er in Marienburg sein, bei Elvira Maaßen. Er klopfte wieder und drückte dann probeweise die Klinke nach unten. Die Tür öffnete sich.
    »Barny?«
    Keine Antwort. Eine nackte Glühbirne tauchte den Korridor in trübes Licht. Die einst weiße Rauhfasertapete war vergilbt und hing stellenweise in Fetzen herunter. Auch hier stapelten sich Müllbeutel, als würde die Müllabfuhr schon seit Monaten einen großen Bogen um diese Gegend machen. Markeschs Mund wurde trocken. Er spürte Gefahr. Er zog die Magnum aus der Tasche, entsicherte sie und ging zum Ende des schlauchartigen Korridors. Drei Türen, alle geschlossen.
    Er öffnete die linke Tür.
    Ein Bad, so schmutzig, als würden in ihm regelmäßig die Schlammschlachtmeisterschaften ausgetragen. In einer Ecke lag ein Haufen ungewaschener Kleidungsstücke, die gekalkten Wände waren mit obszönen Sprüchen und kruden Lebensweisheiten wie TREUE IST NUR EIN MANGEL AN GELEGENHEIT oder DIE SCHWERKRAFT IST ALLES, WAS UNS HIER NOCH HÄLT vollgekritzelt. Über der Toilette hing ein Anti-Drogen-Poster des städtischen Gesundheitsamtes.
    Die nächste Tür.
    Die Küche, bis auf einen Tisch, zwei wacklige Stühle, einen fettverschmierten Herd und einen schwarzlackierten Kühlschrank leer. In der Spüle stapelten sich Gläser und verdrecktes Geschirr. Auf dem Tisch lag eine blutverkrustete Spritze, daneben ein krummer Löffel mit rußgeschwärzter Unterseite. Eine halb heruntergebrannte Kerze verbreitete flackerndes Licht.
    Die dritte Tür.
    Ein zerschlissener Teppich, mit Zigarettenkippen, Papier, leeren Coladosen und Bierflaschen und

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