Ueberdosis
vielleicht gar nichts sagen und wir finden den Mörder nie.«
»Vielleicht finde ich ihn auch ohne die Hilfe dieses Burschen.«
»Vielleicht ist nicht genug.« Sie sah ihn kalt an. »Geben Sie ihm das Geld – vorausgesetzt, seine Information ist den Preis wert.«
»Wie Sie meinen. Es ist Ihr Geld.«
Elvira Maaßen machte eine resignierende Handbewegung. »Es ist nur Geld. Was bedeutet es jetzt schon? Ich habe meinen Sohn verloren, und mit all meinem Geld kann ich ihn nicht wieder zum Leben erwecken. Aber ich kann die Wahrheit über seinen Tod kaufen.«
»Es könnte sein, daß Ihnen die Wahrheit nicht gefällt.«
Sie trat ganz nah an ihn heran, und er roch ihr Parfüm, tropisch und frisch wie das Parfüm, das auch Susanne Großmann benutzte. Es überraschte ihn nicht. Irgendwie hatte er es erwartet.
»Die Wahrheit, Markesch«, sagte sie langsam und betont, »ist ganz einfach. Mein Sohn ist ohne eigenes Verschulden in Dinge verwickelt worden, die ihm das Leben gekostet haben, ganz gleich, was das für Dinge waren. Verstehen Sie? Er war ein guter Junge. Er hat nichts Unrechtes getan. Und weil er nichts Unrechtes tun wollte, hat man ihn umgebracht. Das ist die Wahrheit.«
Markesch sagte nichts.
»Sie sollen nur den Mörder finden«, fügte sie hinzu. »Und nicht irgendwelche Dinge ausgraben, die den Ruf meines Sohnes in den Schmutz ziehen.«
Er hob die Brauen. Wußte sie Bescheid? Über die ›Experimente‹ ihres Sohnes?
Elvira Maaßen räusperte sich. »Lukas hat mich angerufen. Er sagte, Sie hätten einige … nun, unsinnige Theorien entwickelt. Er ist nicht näher darauf eingegangen, und ich wollte auch nichts davon hören. Das war der Anlaß, warum ich mich noch einmal mit Doktor Fichte in Verbindung gesetzt habe. Fichte meinte, Ihre Methoden wären etwas sonderbar, aber sie würden immer zum Erfolg führen. Ich vertraue Doktor Fichte. Und ich verstehe nichts von der Detektivarbeit. Aber ich weiß, daß Michael ein guter Junge war, und ich weiß, daß ich Sie bezahle. Gut bezahle.«
Sie nahm einen zweiten Briefumschlag vom Tisch.
»Ein Scheck. Sie werden Unkosten gehabt haben. Nehmen Sie. Und denken Sie daran, was ich Ihnen über meinen Sohn gesagt habe.«
Er nahm den Umschlag entgegen.
»Ich verlasse mich auf Sie, Markesch.«
Er sah sie an, und das Eis in ihren Augen schmolz, und da waren nur noch Furcht und Schmerz und eine wortlose Bitte.
Es würde nicht leicht sein, ihr die Wahrheit beizubringen. Es würde wirklich nicht leicht sein.
»Michael hat doch nichts Unrechtes getan, nicht wahr?« flüsterte sie.
Markesch steckte den Umschlag ein. »Er hat Fehler gemacht. Aber wir alle machen Fehler.«
»Michael nicht.« Sie schüttelte den Kopf. »Er war mein Sohn. So klug, so begabt …« Ihre Worte erstickten in einem Schluchzen. Sie wandte sich ab und verließ mit schnellen Schritten das Zimmer. Ein paar Sekunden später tauchte Anna Singer im Türrahmen auf. Ihr feines, runzliges Gesicht war zu einer strengen Miene gefroren, ihre strahlend blauen Augen sahen ihn vorwurfsvoll an.
»Die gnädige Frau sagte, Sie wollen gehen. Ich bringe Sie zur Tür.« Sie schwieg einen Moment. »Sie sollten mehr Rücksicht auf sie nehmen. Sie hat Michaels Tod noch immer nicht überwunden.«
»Sie hat sich ihm noch nicht einmal gestellt«, knurrte Markesch.
»Wie meinen Sie das?«
»Es hat mit der Wahrheit zu tun. Mit dem Bild, das man sich von einem Menschen macht. Manchmal ist das Bild falsch, und man will es nicht wahrhaben.«
»Manchmal ist niemand mit der Wahrheit gedient«, entgegnete Anna Singer.
Er zuckte die Schultern. »Ich bin Privatschnüffler. Die Wahrheit ist mein Job.«
»Auch wenn Sie damit anderen Menschen wehtun?«
»Das ist das Risiko, das meine Klienten eingehen.«
»Und Ihr Risiko?«
»Jung zu sterben.« Er schob sich an ihr vorbei und wies auf die Zeitung mit der Todesanzeige, die auf der Vitrine in der Halle lag. »Sie haben ja selbst gesehen, daß manche Leute es kaum erwarten können.«
Im Kölner Hauptbahnhof herrschte das übliche Durcheinander aus nervös hin und her hastenden Reisenden und herumlungernden Müßiggängern, für die der letzte Zug schon vor Jahren abgefahren war. Ein paar Rucksacktouristen standen palavernd vor dem Fahrplanaushang und suchten ohne echtes Engagement nach einem lohnenden Ziel für ihre Interrail-Tickets. Ein alter Mann, der sich für Gott hielt, versuchte mit mäßigem Erfolg eine Gruppe angetrunkener Jugendlicher davon zu überzeugen, daß
Weitere Kostenlose Bücher