Überfahrt mit Dame
gesehen hatte. In dem Moment, als er mit ihr sprach, fuhren sie durch die Azoren, und er hatte ihr mit seinem Feldstecher dabei helfen wollen, nach den Orangenhainen auf den abfallenden Ufern Ausschau zu halten, Orangenhainen, die sie nicht entdecken konnte, was ihren Frieden allerdings wenig störte.
»Ich fahre ebenfalls nach Panama.«
»Wirklich?«, sagte sie. »Dann werde ich nicht so entsetzlich einsam und traurig sein. Ich hatte große Angst vor der Weiterfahrt ab St. Thomas.«
»Sie sollen nicht traurig sein, wenn ich es verhindern kann«, sagte er. »Ich bin selber kein großer Reisender, aber was ich tun kann, werde ich tun.«
»Oh, vielen Dank!«
»Schade, dass Mr. Morris Sie nicht begleiten kann. Er ist überall zu Hause und kennt den Weg über den Isthmus genauso gut, als wäre es die Regent Street, die er entlanggeht.«
»Meinen Sie Ihren Freund?«
»Mein Freund, wenn Sie ihn so nennen wollen, und ich hoffe, er ist es wirklich, denn ich mag ihn. Aber ich weiß nicht mehr über ihn als über Sie. Ich bin ebenso einsam wie Sie. Vielleicht sogar noch einsamer.«
»Aber«, sagte sie, »ein Mann leidet nie unter Einsamkeit.«
»Oh! Wirklich nicht? Halten Sie mich nicht für unhöflich, Miss Viner, wenn ich sage, dass Sie sich irren. Sie spüren Ihren eigenen Schuh, wenn er drückt, aber Sie wissen nichts über die zu engen Stiefel Ihres Nachbarn.«
»Vielleicht nicht«, sagte sie. Und sie schwieg einen Moment lang, während sie vorgab, erneut nach den Orangenhainen zu suchen. »Aber es gibt Schlimmeres, Mr. Forrest, als allein auf der Welt zu sein. Oft ist es das Los derFrau, zu wünschen, allein gelassen zu werden.« Dann verließ sie ihn und suchte Schutz an der Seite der Frau des mürrischen Gentlemans, denn sie spürte vielleicht, dass es klug wäre, ein Gespräch zu unterbrechen, das in Anbetracht der Tatsache, dass Mr. Forrest ein Fremder für sie war, zu persönlich wurde.
»Sie machen fabelhafte Fortschritte, meine Liebe«, sagte die Dame aus Barbados.
»Danke sehr, Ma’am«, sagte Miss Viner.
»Mr. Forrest scheint sich als recht angenehme Gesellschaft zu erweisen. Ich werde Amelia sagen« – Amelia war die junge Dame, mit der Miss Viner sich in ihrer gemeinsamen Kabine nicht vertragen konnte – »ich werde Amelia sagen, dass es falsch ist, keine Aufmerksamkeiten von Gentlemen an Bord entgegenzunehmen. Wenn es nicht zu weit geht«, und sie betonte das »zu weit« überaus deutlich, »dann halte ich es für harmlos.«
»Ich auch«, sagte Miss Viner.
»Andererseits ist Amelia so wählerisch.«
»Das Beste ist, man nimmt solche Dinge, wie sie kommen«, sagte Miss Viner – womit sie vielleicht meinte, dass solche Dinge nie zu Amelia kamen. »Wenn eine Dame weiß, was sie will, muss sie die Aufmerksamkeiten eines Gentlemans nicht fürchten.«
»Das ist genau das, was ich Amelia immer sage, aber sie hat nicht so viel Erfahrung wie Sie und ich, meine Liebe.«
Angesichts dieser Höflichkeiten, die Miss Viner und die vernünftige Dame, in deren Obhut sie sich befand, austauschten, ist es nicht verwunderlich, dass die Erstgenannte sich nicht richtig wohl fühlte in ihrer »Gesellschaft«, als welche die anderen Passagiere die Familie des mürrischen Mannes aus Barbados im Allgemeinen betrachteten.
»Mit Ihnen und Miss Viner geht’s ja ganz prima voran«, sagte Matthew Morris zu seinem jungen Freund.
»So prima nun auch wieder nicht«, sagte Forrest.
»Sie ist doch nicht so hässlich, wie Sie anfangs dachten?«
»Hässlich! – nein, sie ist nicht hässlich. Ich glaube nicht, dass ich sie je so bezeichnet habe. Aber sie ist auch keine herausragende Schönheit.«
»Nein, sie wird wohl während der nächsten drei Tage keine Schönheit sein. Bis Sie Panama erreichen, dann wird sie die vollkommene Frau sein. Ich weiß, wie sich solche Dinge entwickeln.«
»Bei mir entwickeln sich solche Dinge nicht gerade im Eiltempo«, sagte Forrest ernst. »Miss Viner ist eine sehr interessante Frau, und da wir anscheinend eine Zeitlang zusammen unterwegs sein werden, ist es nur schön und gut, dass wir höflich miteinander umgehen. Umso mehr, wenn man sieht, wie unfreundlich ihre Mitreisenden zu ihr sind.«
»Das sind sie wirklich. Sie haben auch keinen jungenMann dabei. Ich habe beobachtet, dass an Bord eines Schiffes meist niemand freundlich zu unverheirateten Damen ist außer unverheirateten Männern. Das ist ein anerkanntes Gesetz der Seefahrt. Ungewöhnlich heiß, nicht wahr? Wir beginnen die
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