Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen
Deutschland verließen.
Ein Emigrantenpaar ging in London einkaufen: „We would like some bloody oranges“, erklärten sie der Verkäuferin, die ihre Überraschung kaum verbergen konnte. „Bloody“ drückt im Englischen „verdammt“ oder auch Schlimmeres aus – auf keinen Fall aber hat es etwas mit Blutorangen zu tun, die die beiden kaufen wollten. Die Verkäuferin reagierte schließlich entsetzt über die Herabsetzung ihrer Ware: „But they are still good für juice!“, rief sie aus. Der Ehemann, für den das Wort wie „Jews“ [Juden] klang, wandte sich deprimiert seiner Ehefrau zu und sagte: „Siehst du, auch hier sind sie Antisemiten.“
Deutschland blieb für viele Emigranten ihr Land, obwohl man sie dort verfolgte und sie zu fliehen gezwungen waren. Man kann eben seine Herkunft nicht einfach wegwerfen wie einen alten Hut, so der Ausspruch eines Emigranten. Aber selten ging ein Emigrant so weit wie Leo Blech, der Dirigent und Komponist, der trotz allem keine Zweifel an seiner weiteren Zugehörigkeit zu Deutschland zuließ. „Mein Begräbnisplatz ist Berlin. Ich habe mich nie ausgebürgert gefühlt.“ Werner Finkelstein, ehemaliger Herausgeber der jüdischen Zeitung in Argentinien, gab sehr ehrlich zu – eine Ehrlichkeit, die nicht viele aussprachen, obwohl sie ähnlich dachten: „Ich bin in den Jahrzehnten nicht Argentinier geworden. Zuhause habe ich mich in Buenos Aires nie gefühlt. Ich weiß, in Berlin wartet niemand auf mich. Dennoch ist es meine Heimatstadt.“
Eine nicht seltene Erscheinung waren die Emigranten, die man scherzhaft „Beiunsniks“ nannte, weil sie ständig die Bedingungen des neuen Landes mit denen ihrer ehemaligen Heimat verglichen. Immer fanden sie, daß dort alles besser gewesen war, und merkten gar nicht, daß sie sich mit dieser Attitüde das Einleben im neuen Lande nur noch erschwerten. Andere plagte das Heimweh, wenn sie Grünanlagen sahen, die mit denen in Berlin, Wien oder Frankfurt so gar nicht vergleichbar waren. Besonders extrem scheinen in dieser Hinsicht die Gefühle der Gertrude Kracauer, die, wie alle Juden in Shanghai unter japanischer Herrschaft, die Parks der Stadt nicht betreten durfte. „So saßen wir mit unseren Kleinkindern am Ende des Zaunes dem Park gegenüber, sahen die grünen Baumspitzen in der Ferne und hatten die Illusion, wie früher bessere Luft zu atmen …“
Es wäre vielleicht gewagt zu behaupten, daß die Schwierigkeiten der aus Deutschland stammenden Emigranten beim Erlernen der neuen Sprache allein in der starken Bindung an ihr ehemaliges Heimatland begründet lagen. Und damit auch zur deutschen Sprache. Schließlich ist Sprache Ausdruck des Gefühls, des Denkens, womit der Mensch aufwächst, was ihn formt. Fast möchte man sagen, daß sich viele Emigranten unbewußt an ihre Sprache klammerten, als das einzige, was ihnen aus ihrem früheren Leben geblieben war. „Ich liebe Amerika mehr mit jedem Sonnenaufgang. Aber ich kann das erste Wort nicht vergessen, das ich lernte, die erste Landschaft, die ich sah, die erste Freundlichkeit, den ersten Schmerz, die erste Begeisterung – sie waren deutsch – unübersetzbar, unvergleichbar, und sie blieben immer ein Teil meines Wesens“, schrieb der Arzt und Dichter Martin Gumpert.
Anders Erich Maria Remarque: „Ich bin kein Deutscher mehr“, sagte der Schriftsteller am Ende des Krieges. „Denn weder denke ich noch fühle ich deutsch. Ich spreche auch nicht deutsch.“ Selbst wenn er träume, sei es von Amerika, und wenn er fluche, sei es amerikanisch. Widerlegt ihn nicht die Tatsache, daß er seine Bücher weiterhin in deutscher Sprache schrieb? War’s Einbildung oder nur ein dringender Wunsch, „dazuzugehören“?
Viele Emigranten nahmen beim Erlernen der neuen Sprache häufig Deutsch als Grundlage. Wenn englische Wörter einem deutschen ähnelten, bedienten sie sich des Wortes in seiner deutschen Bedeutung. Diese hatten, meist im Eifer des Gefechtes, eine fast magische Anziehungskraft und waren doch die Quelle vieler Fehler: „How long is the fare to Birmingham?“ Der Fragesteller deutete mit dem Gebrauch der ersten beiden Wörter seiner Frage an, daß er etwas über die Fahrzeit wissen wollte. Nicht aber über den Fahrpreis, was „fare“ bedeutet. – „She is a fast typewriter.“ Dies war als Kompliment für die Schreiberin gedacht – the typist – und nicht für die Schreibmaschine. – „I sleep on a coach“, offenbarte ein Emigrant seinem Gesprächspartner, der ihn
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