Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen
im Geiste auf einem Reisebus liegen sah. Sein Freund wollte ihm eigentlich nur erklären, daß er nicht in einem Bett, sondern auf einer Couch schliefe. – „This is going too wide“, empörte sich eine Emigrantin. Worüber? Wir wissen es nicht. „Too far“ hätte sie in jedem Falle sagen müssen. Denn „wide“ hat etwas mit dem Umfang zu tun, und das paßte nun wirklich nicht in den Kontext.
Häufiger geschah es, daß Emigranten auf der Suche nach der richtigen Vokabel – unbewußt natürlich – aus ihrer Muttersprache übersetzten. „The Lord is above“, entgegnete eine Emigrantin dem Londoner Autobusschaffner, der von ihr das Fahrgeld forderte. Dabei zeigte sie mit dem Finger nach oben. Der Schaffner meinte daraufhin, auch er wisse das. Aber er zweifle daran, daß der „Lord“ für sie auch das Fahrgeld entrichten würde. Sie hingegen insistierte, denn sie wollte klarmachen, daß der „Herr“, ihr Ehemann, für sie bereits gezahlt habe, sich aber die Stadt vom oberen Deck des Busses ansehen wollte.
„I make myself thin“ – Emigranto für „sich dünnmachen“. Während „sich dünnmachen“ im Deutschen unterschiedlich interpretiert werden kann – „ich hau ab“, „ich mach Platz“ oder „ich mach mich rar“ –, ist diese Emigranto-Vokabel für den Engländer mit Sicherheit völlig unverständlich. Um Vergleichbares zum Deutschen auszudrücken, müßte man im Englischen sagen: „I buzz off“ oder „I make myself scarce.“ –
Aufgeregt stürmte eine junge Emigrantin ins Büro und berichtete von einem Verkehrsunfall, dessen Zeugin sie gerade geworden war. „Lots of headless people were running around“, rief sie nach Atem ringend. Die Beschreibung ergriff alle, die ihr zuhörten, denn im Geiste sahen sie Menschen ohne Kopf herumlaufen. Aber in Wirklichkeit hatte die junge Dame von Menschen erzählen wollen, die „kopflos“, das heißt in Panik, auf den Unfall reagiert hatten. –
„You have to frighten the spaghetti.“ Diese Anweisung gab eine aus Deutschland stammende Köchin ihrem Hilfspersonal. Es soll daraufhin in der Großküche einige Minuten sehr still geworden sein. Man dachte wohl darüber nach, wie man den Spaghetti einen Schrecken einjagen sollte und überhaupt, wozu eigentlich? Das Wort und damit wohl auch die Methode, etwas abzuschrecken, gibt es im Englischen nicht. Wollte man dennoch auch in England das „Abschrecken“ einführen, müßte man sich auf den simplen Ausdruck „to rinse with cold water“ einigen. –
„Are you a keyman?“, fragte der Londoner Polizist, der irgendwann im Jahre 1940 morgens um fünf Uhr an meines Vaters Tür klopfte, um ihn zur Internierung abzuholen. Nach der Flucht der britischen Armee vom europäischen Festland fürchtete die britische Regierung, daß sich unter den Flüchtlingen aus Deutschland auch Spione der Nazis befanden, und fand es daher ratsam, sie alle hinter Gitter und Stacheldraht zu internieren. Mein Vater zeigte dem Polizisten eine Bescheinigung, die bestätigte, daß er im Bloomsbury House, einer Einrichtung zur Unterstützung von Emigranten, tätig war. Mein Vater bejahte treuherzig, daß er sich durchaus als „key-man“ bezeichnen könne. Der Polizist setzte daraufhin sein Revier davon in Kenntnis und wurde von dort angewiesen, meinen Vater von der Internierung auszunehmen. Seinen Kollegen, die ihn erstaunt fragten, wie er, der ehrenamtliche Mitarbeiter, sich als „keyman“ – als in einer Schlüsselposition tätig – bezeichnen konnte, erklärte er, daß dies wohl rechtens sei. Schließlich hätte man ihm, dem Frühaufsteher, die Schlüssel des Hauses anvertraut mit der Auflage, das Büro pünktlich aufzuschließen. –
Verzweifelt nahm ein junger Wissenschaftler zur Kenntnis, daß die Universität seinen Vertrag nicht verlängern wollte. Im Kreis seiner Kollegen rief er aus: „This is a hit at the office!“ Niemand konnte sich erklären, aus welchem Grunde seine Entlassung ein Schlag gegen das Büro der Universität sein sollte. Für phantasievolle Leute mit guten Deutschkenntnissen brachte es die Übersetzung ans Licht: Seine Entlassung war für ihn ein „Schlag ins Kontor“. –
[…]
Die meisten Emigranten wiesen trotz aller Schwierigkeiten im Exil nach dem Krieg eine Rückkehr nach Deutschland, wo ihnen und den Ihren so Furchtbares angetan worden war, weit von sich. Wenn sie nicht staatenlos bleiben wollten, mußten sie sich jetzt allerdings um die Staatsangehörigkeit ihres neuen
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