Überleben auf Partys: Expeditionen ins Feierland (German Edition)
angetrunkenen und immer noch potenten Zustand zu einem One-Night-Stand verführen. Der Marokkaner macht’s vor.
Typischer Song
»Welcome To Saint Tropez« von DJ Antoine vs. Timati feat. Kalenna
Typisches Getränk
Wodka-Red-Bull
Die Firmenweihnachtsfeier
Ein Gastbeitrag von Raymund Krauleidis // www.krauleidis.com
Die Firmenweihnachtsfeier gilt als der Zahnarztbesuch unter den Partys: Einmal im Jahr quälen sich die Betroffenen hin, lassen sich betäuben und sind heilfroh, wenn sie die Sache einigermaßen unbeschadet überstanden haben. Ungünstig ist nur, dass die Betäubung mitunter zu einem kompletten Blackout führen kann …
Bernd verlagert im Sekundentakt das Gewicht von einem Bein aufs andere. Seine Augen streifen gelangweilt durch den weihnachtlich dekorierten Vorraum des eigens für die Firmenfeier angemieteten Nobelklubs der Stadt. Es war offensichtlich ein gutes Jahr für das Unternehmen – zumindest im Vergleich zum Vorjahr, in dem die Weihnachtsfeier aufgrund miserabler Geschäftszahlen im Betriebsrestaurant abgehalten und die Anzahl an Freigetränken auf zwei Stück pro Mitarbeiter begrenzt werden musste.
Erneut verharrt Bernds Blick auf der blonden Kollegin aus dem Marketing. Er glaubt, einmal gehört zu haben, dass sie Julia heißt. Oder Susanne? Bislang konnte er noch nicht den Mut dazu aufbringen, sie direkt anzusprechen, obwohl er vor Kurzem durchaus die Gelegenheit dazu gehabt hätte, als sie sich zufällig im Kopierraum begegneten. Mehr als ein heiseres, gestottertes »Hal … lo!« bekam er dabei aber nicht zustande. Dennoch war sich Bernd ziemlich sicher, dass sie ihn angelächelt hatte.
»Und deshalb nutze ich an dieser Stelle nochmals die Gelegenheit, Ihnen allen für das in den letzten Monaten Geleistete zu danken«, nutzt der Vorstandsvorsitzende derweil die Gelegenheit, sich zum wiederholten Mal bei allen Anwesenden für das in den letzten Monaten Geleistete zu bedanken. »Es erfüllt mich mit tiefem Stolz, solche qualifizierten und engagierten Mitarbeiter zu haben, wie Sie es sind! Sie haben sich diesen Abend in ungezwungener, vorweihnachtlicher Atmosphäre somit mehr als verdient …«
Merke ➙ Firmenweihnachtsfeiern gelten (neben Beerdigungen und Totenmessen) als Epizentrum der Heuchelei. Dies bezieht sich insbesondere auf den offiziellen Teil, der für gewöhnlich aus »ein paar kurzen, einleitenden Worten« der Unternehmensführung besteht. Geschätzte Dauer: 60 bis 90 Minuten.
»Das war doch mal wieder eine tolle Rede von unserem Vorstandsvorsitzenden«, schwärmt Bernds Kollege Rüdiger scheinbar frei von jeglicher Ironie, als sie eine gefühlte Ewigkeit später gemeinsam in der Schlange vor dem Büfett stehen.
»Hast du etwa schon etwas getrunken?«, fragt Bernd verwundert. »Das war stinklangweiliges, substanzloses Manager-Blabla. Ungefähr so spannend wie die Weihnachtsansprache des Bundespräsidenten. Bei der dritten Wiederholung wohlgemerkt!«
Rüdiger räuspert sich.
»Und rhetorisch ist der Oberboss mindestens ebenso unfähig wie fachlich«, ergänzt Bernd, während er seinen Kollegen erneut hüsteln hört – diesmal etwas lauter.
»Brauchst du ein Hustenbonbon? Oder besser noch ein Bier? Vorschlag: Du hältst meinen Platz frei und ich besorg uns was zu trinken. Darauf freue ich mich schon, seit der Labersack …«
Bernd dreht seinen Kopf, um nach der Getränketheke Ausschau zu halten, und blickt dabei direkt in das griesgrämige Gesicht des Vorstandsvorsitzenden, der sich unmittelbar hinter den beiden in die Schlange eingereiht hatte.
»Äh … tolle … Rede eben …«, stottert Bernd und läuft rot an. »Darf ich … Ihnen auch ein Bier …?«
Als es rund zwei Jahre nach diesem Vorfall darum gehen wird, die vakante Position als Abteilungsleiter nachzubesetzen, wird Bernd die Sache längst schon wieder vergessen haben. Der Vorstandsvorsitzende allerdings nicht. Nachdem die Wahl – sehr zu Bernds Überraschung und Missfallen – auf Rüdiger gefallen sein wird, wird Bernd das Unternehmen kurze Zeit später frustriert verlassen und in einem Callcenter in Mecklenburg-Vorpommern anheuern.
Merke ➙ Es liegt in der Natur der Firmenweihnachtsfeier, dass neben Kollegen auch Vorgesetzte zugegen sind. Auf Lästereien und sonstige negative Äußerungen über den Chef (bzw. Chef-Chef) sollte bei derartigen Veranstaltungen somit grundsätzlich verzichtet werden! Sonst ist die Karriere möglicherweise bereits im Eimer, bevor sie überhaupt angefangen hat.
Nach
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