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Überleben auf Partys: Expeditionen ins Feierland (German Edition)

Überleben auf Partys: Expeditionen ins Feierland (German Edition)

Titel: Überleben auf Partys: Expeditionen ins Feierland (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann , Sylvia Witt
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ihm die Kleider vom Leib reißen und sein behaartes, gebräuntes Fleisch auf der Folie sichtbar machen. Die Menschen tuscheln. Die Kameraleute filmen. Die Journalisten schießen ein paar Fotos mit Weißabgleich.
    Britta zeigt auf ein Fenster. Ein Klecks des Anstrichs ist aufs Glas gelangt. »Guck, Karen. Machen Kunstrevolution und können nicht mal präzise anstreichen.«
    Karen guckt nicht. Sie inspiziert den Künstler. Seine Lider zucken. Sie wollen blinzeln, aber es scheint, als habe er sie irgendwie fixiert. Kinder, Briten, Japaner und andere normale Menschen würden jetzt laut »Buh!« machen und gucken, ob er zuckt. Macht aber hier keiner. Die grau melierten Männer wissen nicht, wohin mit sich und ihren Gliedmaßen. Sie sind es gewohnt, mit den Händen auf dem Rücken langsam an Bildern entlangzugehen und während der Betrachtung die Fußballaufstellung in ihrem Kopf zu korrigieren.
    Britta verspürt in sich einen kurzen Moment kindlichen Muts, aber Karen bekommt das nahezu telepathisch mit und stellt sich ihr in den Weg, bevor sie tatsächlich »Buh!« machen kann.
    »Wage es …«, zischt sie, und Britta lacht.
    Was sagt die Wissenschaft? ➙ »Jedes Nachdenken über die Funktion der Kunst als Mittel zur Aufhebung der vorhandenen Ordnung führt irgendwann ins Nichts«, sagt Prof. Dr. Dieter Dettmering vom Institut für dekonstruierte Dekonstruktion (IfdD) in Daasdorf am Berge. »Da jede Form und jede Struktur – egal, wie subversiv sie gemeint ist – zum Ding unter Dingen wird und die Ordnung selbst somit doch wieder bekräftigt, suchen Künstler seit jeher nach Wegen der absoluten Verweigerung. Ihre Vortäuschung, progressiv zu sein, verschleiert dabei allerdings, dass sie mehr als alle anderen der radikalstmöglichen Rückwärtsgewandtheit folgen, die man sich denken kann: In letzter Konsequenz wollen sie alle in den Zustand vor dem Urknall zurück. Ins Ur-Nichts, vor allen Dingen. So sie es denn überhaupt ernst meinen.«
    »Das ist doch fantastisch!«, schwärmt Karen auf der Heimfahrt. Im Auto singt wieder Mick Hucknall. »Der ultimative Kommentar überhaupt. Das lässt alles in sich zerfallen. Das ist unvereinnahmbar!«
    »Es wird von der Sparkasse gesponsert«, sagt Britta.
    Karen ignoriert den Einwand. Sie fabuliert weiter: »Das ist … Kunst als Lösungsmittel, sozusagen. Das löst alles auf. Zwanzig Stunden täglich sitzt er so da, die nächsten zwei Wochen. Ohne sich zu rühren. Was für ein radikaler Mann.«
    »Papperlapapp. Sobald das Museum geschlossen hat, steht er auf und geht nach oben in sein Appartement. Dort mampft er dann Nutellabrötchen und guckt Doku-Soaps.«
    »Britta!«
    »Wetten?«
    »Dieser Mann ist weiter als wir alle. Er transzendiert.«
    »Er transpiriert höchstens. Obwohl, dafür ist die Luft da drin zu trocken. Hast du überhaupt gesehen? Die haben die Heizkörper in einem anderen Weiß gestrichen als die Wände! Ich weiß, dass das schwer einheitlich zu kriegen ist, aber …«
    »Du bist und bleibst eine Banausin!«
    »Der sitzt niemals da rum, wenn keiner guckt.«
    Karen schnauft. Sie schaut auf ihre Uhr.
    »Okay, dann dreh um. Wir warten noch eine Stunde, bis geschlossen ist, und gucken durch die Fenster. Was denkst du, warum sie die mit weißen Brettern zugenagelt haben?«
    Britta blinkt und dreht in einem Waldweg: »Jetzt kommen wir der Sache näher.«
    »Da. Was habe ich gesagt?« Karens Wangen leuchten rosig im Licht, das aus dem Ausstellungsraum nach draußen ins Dunkel fällt. Auf dem Boden sitzt immer noch der Meyrink und atmet mit zugeklebten Lidern.
    »Hm«, sagt Britta und trinkt einen Schluck vom Kaffeebecher, den sie an der Tankstelle geholt haben. »Will wissen, wann der raufgeht. Und ob.«
    »Dann bleiben wir.«
    Britta nickt.
    Karen grinst innerlich. Plötzlich ist es wie früher, mit siebzehn. Britta und sie haben nur Unsinn gemacht. Jetzt hängen sie am Waldrand nahe eines Schlosses und warten ab, bis ein Aktionskünstler ins Bett geht.
    Um Mitternacht ist es soweit. Meyrink zieht eine kleine Flasche aus Plastik aus der Tasche, legt den Kopf in den Nacken, träufelt etwas auf seine Augen, lässt es wirken und öffnet sie endlich. Braunschwarz erscheinen die Murmeln im weißen Saal. Er reibt sich das Gesicht.
    »Das Lösungsmittel …«, flüstert Britta.
    Meyrink steht auf und löscht das Licht. Unter dem leisen Knacken von Ästen und dem Rascheln von Büschen bringen die Frauen etwas Abstand zwischen sich und das Schloss. Jungenhaft suchen sie

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