Überleben auf Partys: Expeditionen ins Feierland (German Edition)
im Leben eines Mannes«, erklärt Prof. Thees Trybull vom Institut für tabulose Testosteronforschung (IftT) in Turnow-Preilack. »Körperliche Auseinandersetzungen mit offenem Ende, meist unter freiem Himmel. Der Fußballprofi wird noch Jahre nach dem Ende seiner Laufbahn davon träumen, wie es sich anfühlt, mit der Innenseite des rechten Fußes eine Flanke zu schlagen. Der Bergsteiger fühlt seine Finger ein Leben lang den scharfen Fels umklammern.« Der Soldat wiederum, so Professor Trybull, »bildet die Spitze dieser Erfahrungspyramide. Allerdings nur in der altmodischen Form. Eis, Dreck, Lärm. Wer aus der Ferne eine Drohne steuert, hat keine Kriegserfahrung.«
Über einen Zettel im Supermarkt haben wir Russen gesucht und zwei Ukrainerinnen gefunden, die nun in zu engen, spannenden Uniformen um meinen Großvater herumschleichen. Dicke Bärte und Augenbrauen haben wir ihnen angeklebt. Ihnen eingebläut, sie dürften sich die Wochen zuvor nicht waschen, um ganz Krieg zu sein, und nun sind sie bei Großvater, heben ihn hoch, schmeißen ihn immer wieder durch die Luft, sind Blitzkrieg und Sturmangriff, Glück und Befriedigung für Großvater.
Meist ist es die Polizei, die Großvaters Geburtstag ein Ende bereitet. Wir kennen das schon. Für ein wenig Geld haben sie sich amerikanische Flaggen auf die Uniform geheftet, sprechen ein wenig Englisch: »Hello, Opa. Please give up. Kapitulation now.«
Mit diesen Worten tragen sie ihn hoch in die Wohnung, den zappelnden, schimpfenden Opa, der sich nicht ergeben will. Legen ihn in sein Bett. Decken ihn zu. Bringen ihm altes Brot und brackiges Wasser. Wachen noch ein Stündchen vor seiner Tür, bis Großvater eingeschlafen ist. Mit einem glücklichen Lächeln auf seinem Gesicht von Schafen in Gefangenschaft träumt.
Letztes Jahr fanden wir noch einen Zettel, den er schlafend in seinen Händen hielt. Einen Wunschzettel, auf dem stand: »Lieber Weihnachtsmann, ich wünsche mir nur drei Dinge von dir: zwei Beine und Krieg. Dein Opa.«
Denn Weihnachten, das ist für Opa wie Geburtstag, nur dass die Schlacht größer ist. Fünfzig Senioren in Flecktarn robben dann durch den Hof. Doch das ist eine ganz andere Geschichte.
•Opas Geburtstag
Alkoholpegel: ★
Drama: ★ ★ ★
Erotik:–
Spaß: ★
Was man erwartet
Nette Senioren in gelben Pullundern mit weißen Mützchen, die bei Frankfurter Kranz und Cremetorte über Gebrechen und Pastinakengerichte reden.
Was tatsächlich passiert
Senioren in Flecktarn und mit Sturmgewehren, die mit roten Wangen und feuchten Augen kriegsähnliche Zustände simulieren, sich Wunden präsentieren und von Schlachten erzählen.
Was man tun sollte
Mitmachen. Teil der Illusion sein. Den alten Menschen und ihren Wünschen Respekt entgegenbringen. Etwas amputieren, um Teil der Gemeinschaft zu sein. Ein kleiner Finger ist nur ein geringer Preis, wenn man dafür seine Großeltern glücklich machen kann.
Typische Platte
»Schüsse, Schreie, Explosionen«
Typisches Getränk
Muckefuck
Der Klubmarathon
Der Klubmarathon ist das Fest der Kondition. Ein verlängertes Wochenende ohne Schlaf. Eine Orgie chemischer und akustischer Substanzen. Ungünstig ist nur, dass manche ihre überschüssige Energie zum Nachteil anderer ausleben …
Die Spitznamen sind ihnen so zugefallen. Irgendwann zwischen Donnerstagnacht und Montagmittag, wann genau, das weiß keiner mehr, und auch nicht, ob es draußen Tag oder Nacht war. Die vier reden sich nur noch mit den Spitznamen an, ihre alten Namen werden ausschließlich von Menschen verwendet, denen sie unter der Woche begegnen, dieser kurzen, aber höllischen Zeitspanne ohne Party. Einem freudlosen, öden Feld, das mehr Kopfschmerzen bereitet, als alle Drogen der Welt es je könnten.
Jetzt ist Donnerstag und die Durststrecke überwunden. Ein House-Klub stellt ihre erste Station dar. Warm und dunkel wie eine Wolldecke, die man als Kind zur Höhle aufgespannt hat. Die Musik pumpt kakaobraun und dickflüssig, sie schwebt und drückt zugleich. Für Trouble ist sie im Grunde zu soft und eher zum Aufwärmen geeignet. Er trägt stoisch seine weite Trompetenhose mit vielen Bommeln und Kordeln zur Ananasfrisur, als schlüge immer noch die Stunde der ersten Mayday. In den Taschen, die sich unter all dem weißen Kordelchaos verbergen, befinden sich Tütchen mit knackig knallendem Koks. Der weiße Wachmacher ist nicht das Ding von Knuddel und Babbel, die lieber ihre bunten Pillen schlucken und kaum, dass das E wirkt,
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