Überleben oder Scheitern: Die Kunst, in Krisen zu bestehen und daran zu wachsen (German Edition)
herausgekommen ist, vielleicht nur als »brenzlig« ein. Diese subjektive Wertung ist entscheidend für den späteren Umgang mit der Krise.
Objektiv gesehen kann man sagen: Je mehr Tote der Betroffene sehen musste, je schlimmer deren Verletzungen und Entstellungen waren, desto höher ist das Risiko für eine PTBS . Die Schwere der eigenen Verletzung spielt eine Rolle, ebenso eine zeitlich verzögerte Rettung. Außerdem erhöhen negative emotionale Reaktionen wie Angst, Hilflosigkeit, Schrecken, Schuld oder Scham das Risiko für eine Traumastörung.
Nach dem Trauma bestehende Risiken
Entscheidende Faktoren nach dem Trauma sind mangelnde – oder als solche empfundene – soziale Unterstützung, das Gefühl, nicht über das Erlebte sprechen zu können, und damit einhergehend vermeidende Bewältigungsstrategien wie zum Beispiel der Versuch, allem aus dem Weg zu gehen, was an das Trauma erinnert. Menschen, die sich zurückziehen und alles mit sich alleine ausmachen wollen, haben ein erhöhtes Risiko, später eine Störung zu entwickeln. Ebenso Personen mit exzessiven Schuld- und Verantwortungsgefühlen, besonders, wenn keine reale Schuld vorliegt. Menschen, die von einer Naturkatastrophe betroffen waren, haben oft keinen sicheren Ort mehr, der ihnen Schutz bieten könnte, und entwickeln massive Existenzängste, weil sie Hab und Gut verloren haben. Wer zudem körperlich versehrt ist, irreversible Schäden wie den Verlust von Gliedmaßen oder chronische Schmerzen davongetragen hat, weist ebenfalls ein hohes Risiko für Traumastörungen auf.
Auswirkungen auf das Leben
Eine PTBS ist ein klinisch bedeutsames Leiden. Betroffene sind in sozialen, beruflichen und anderen wichtigen Funktionsbereichen des Lebens stark beeinträchtigt und nicht mehr oder nicht mehr voll einsatz- oder leistungsfähig. Viele Menschen beschreiben ihre Situation mit den Worten: »Nichts ist mehr wie vorher!« Sie fühlen sich, als würde ihr Leben nicht weitergehen, als gebe es keine Zukunft. Ihr Empfinden ist oft, an einem Abgrund zu stehen, ohne einen Weg zurück. Die Verzweiflung ist groß, Gedanken an einen Suizid sind keine Seltenheit. Der Leidensdruck der Betroffenen ist so enorm wie bei kaum einer anderen psychischen Störung. Viele können sich nicht vorstellen, dass es einen Weg gibt, mit dem Trauma zu leben. Sie möchten am liebsten nicht mehr daran erinnert werden und versuchen, es auszublenden. Mit der Folge, dass sie von den bereits erwähnten, plötzlich auftauchenden Bildern, sogenannten »Flash-backs«, heimgesucht werden.
Diese unkontrolliert auftretenden Erinnerungen stürzen die Betroffenen in ein Dilemma: Sie streben mit aller Macht weg vom Erlebten, spüren aber gleichzeitig, dass das Ereignis so prägend war, dass sie es niemals vergessen oder verdrängen können. Ich selbst habe Betroffene erlebt, die mir in einer therapeutischen Sitzung sagten, sie wollten mir als Einzigem nun ihre Geschichte erzählen – und sich anschließend umbringen. Für mich ist das keine einfache Situation. Bei manchen Traumatisierungen bin ich mir in der Tat nicht sicher, ob es einen Weg geben wird, damit weiter zu leben. Von meinen Patienten fordere ich in solchen Situationen ein Versprechen ein: sich nicht während der Therapie umzubringen, sich auf die Gespräche einzulassen, damit wir in Ruhe all das ausprobieren können, womit ich gute Erfahrungen gemacht habe und wovon ich überzeugt bin, dass es helfen kann. Vielen dieser schwer traumatisierten Menschen zolle ich höchsten Respekt, und ich bin voller Dankbarkeit, dass wir gemeinsam einen Weg finden konnten, der ihnen das Gefühl gibt, einen Sinn im Weiterleben erkannt zu haben.
Viele Menschen leben mit unbehandelten Traumatisierungen und werden alt damit. Besonders die Kriegsgeneration hatte weder Zeit noch Energie, die millionenfachen Traumata, die während des Zweiten Weltkrieges entstanden waren, aufzuarbeiten. Viele Menschen, die diese Zeit erlebt haben – Soldaten, die dem Grauen an der Front ausgesetzt waren, Frauen und Kinder, die durch Bombenangriffe, Flucht oder Vergewaltigungen schwer erschüttert wurden –, reagierten auf meine Fragen nach Traumafolgestörungen oft ausweichend oder abweisend. »Da haben wir uns keine Gedanken drüber gemacht«, »Das war eben eine schlimme Zeit«, »Wir hatten nach dem Krieg anderes zu tun, mussten das Land wieder aufbauen« waren gängige Antworten.
Aber heißt das auch, dass diese Menschen das Erlebte tatsächlich erfolgreich verdängen
Weitere Kostenlose Bücher