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Ufer von Morgen

Ufer von Morgen

Titel: Ufer von Morgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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immer eine interessante Gruppe zusammen, dachte er sich.
    Wilson fiel ein, daß es Chambers gewesen war, der ihm die Bekanntschaft mit Sorine zum Teil vermittelt hatte. Als sie vor acht Jahren studierten, hatten sie bei Chambers eine Vorlesung über Psychometric gehört. Wilson hatte sich mit dem Mädchen, das links von ihm saß, auf ein Streitgespräch über einen Punkt der Vorlesung eingelassen, und nach der Stunde gingen sie zum Podium, um Chambers um seine Meinung zu fragen. Er hatte sich jedoch um eine Antwort gedrückt und nur gesagt: »Warum setzen Sie beide sich nicht zu einer Tasse Kaffee zusammen und klären das für sich?« Wilson hatte darauf gesagt: »Machen wir vielleicht. Haben Sie jetzt Zeit, Miss… Miss…«
    »Jensen. Ja, ich habe Zeit.« Sie hatten sich also zu einem Kaffee zusammengesetzt, und nach einem Jahr waren sie verheiratet. Chambers unschuldiger Vorschlag hatte den Stein ins Rollen gebracht.
    Wilson ließ sich durch das Zimmer treiben, redete erst mit den Leuten, die er kannte, und schließlich, als der zweite Martini seine Zunge löste, auch mit den Fremden. Dann mußte er seine Pflicht erfüllen und Professor Griggs mit Frau begrüßen. Der Vorstand der Abteilung grüßte ihn mit einem zurückhaltenden Lächeln, fragte ihn, welche Fortschritte seine Doktorarbeit mache, drückte die Hoffnung aus, daß er bald wieder seine Lehrtätigkeit aufnehmen werde, und glitt in sein eigenes Gespräch zurück.
    Als Wilson sein Glas zum dritten Mal aus dem Krug füllte, stieß er auf einen flotten jungen Mann mit beginnender Glatze. Man lachte. Wilson schenkte beide Gläser voll.
    »Howard Wilson, Soziologe an der Columbia University.«
    »Ich bin Don Keats. Wie es heißt, bin ich ‘ne Art Elektronikingenieur.«
    Keats hatte anscheinend ein wenig über den Durst getrunken und suchte einen Gesprächspartner. Er arbeitete in der Forschungsabteilung einer großen Transistorfirma und langweilte sich. »Ich kann mich eigentlich nicht beklagen. Ich kriege viel Geld, habe einen Monat Urlaub, kurze Arbeitszeit, werde nicht beaufsichtigt. Aber ich verlier’ noch den Verstand, Wilson.«
    »Wie denn das?«
    »Keine Herausforderung, kapieren Sie? Ob ich meine Arbeit mache oder nicht, ich werde bezahlt. Niemand interessiert sich, ob die Abteilung was auf die Beine stellt oder nicht. Wenn wir nichts zusammenkriegen, werden wir von der Steuer abgesetzt. Wir sind durch einen langfristigen Vertrag geschützt, Sie verstehen? Völlig wurscht, was wir machen. Wir tun nur so, als ob wir arbeiten. Da kriegt man einen Schuldkomplex. Das ist aber überall so. Es ist alles so nett und einfach, so bequem und sicher. Kein Ansporn. Verstehen Sie, Wilson? Tschuldigung, ich muß wieder nachfüllen.«
    Sie füllten noch einmal nach. Wilson erwiderte: »Soll das heißen, daß Sie glücklicher waren, als Sie auf Arbeitssuche waren? Sie sitzen jetzt schön warm und sind ruhelos? Aber Sie können nicht weiter. Komisch, Sie betrinken sich, weil Ihr Leben zu sicher ist, und ich trinke, weil meines nicht sicher ist. Aus den Menschen wird man manchmal überhaupt nicht schlau.«
    »Recht haben Sie. Darauf trinke ich.«
    Sie verloren sich aus den Augen. Wilson ging zu einer Gruppe, die sich eingehend mit der Quantentheorie auseinandersetzte, und als er eine Weile zugehört hatte, verließ er sie wieder, ohne daß ihn jemand vermißt hätte.
    Er wußte, es war Zeit, mit dem Trinken aufzuhören. Ein selbstzerstörerischer Drang ließ ihn jedoch zum Krug zurückkehren.
    Komisch, dachte er, jeder füllt seinen Platz aus. Jeder hat eine Aufgabe, Aussicht auf Rente, Sozialversicherung, auf jede nur denkbare Sicherheit. Die Lagerarbeiter sind darüber glücklich. Der Ingenieur nicht. Ihm fehlt die Herausforderung der Unsicherheit. Und wo ist mein Platz?
    Die Gedankenkette verlor sich in Sinnlosigkeit. Plötzlich stand Paul Chambers neben ihm und flüsterte: »Vielleicht machst du mal Pause, Howard. Du bist schon ziemlich wacklig auf den Beinen.«
    »Ich bin so nüchtern wie du.«
    »Hab’ ich gar nicht abgestritten. Aber vielleicht läßt du deine Drinks etwas weniger dicht aufeinander folgen –«
    »Zum Teufel mit dir!« murmelte Wilson. »Zum Teufel mit all den rechtschaffenen Leuten!« Wie ein Planet vor dem Auge eines Astronomen zog eben Lehrstuhlinhaber Griggs vor Wilsons Blick vorbei. Wilson zeigte mit zitterndem Zeigefinger auf den Professor. »Und Sie sind der schlimmste! Sie fetter Niemand, der Sie dasitzen und wie ein Gott Titel

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