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Ufer von Morgen

Ufer von Morgen

Titel: Ufer von Morgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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wären diese eigentlichen Sachen?«
    »Unsere Zivilisation zusammenzuhalten«, sagte Wilson ohne Umschweife. »Sie nehmen lächerlich reaktionäre Standpunkte ein, weil Sie nicht ernst genommen werden wollen. Wer möchte heute wirklich gegen die Sozialversicherung sein? So haben Sie freie Bahn für Ihre Arbeit, was immer die auch sein mag. Da bin ich mir noch nicht klar. Aber ich weiß, daß Sie und Ihr Laden irgendwie eifrig daran arbeiten, der großen Gleichmacherei entgegenzuwirken, die sich in unserer Zivilisation breitmacht.«
    Brewster nickte langsam. »Die große Gleichmacherei. Sie haben also endlich die Augen aufgemacht.«
    »Ich habe mich umgesehen. Ich sehe, wie leicht es heute den Leuten gemacht wird. Die wirklich harte Arbeit wird von Maschinen erledigt. Wir haben Gesetze, die dafür sorgen, daß niemand Not leidet. Keiner verhungert mehr. Niemand stirbt mehr an Kinderlähmung, an Tuberkulose, an Diphterie. Niemand muß mehr in einem Ausbeutungsbetrieb schuften. Wir sind auf dem besten Weg in die Utopie.«
    »Und Sie sagen, das sei schlecht?« fragte Brewster ungläubig. »Sie, der Liberale, der Artikel für die Republic schreibt? Der jedes Jahr die Nationalliberale Partei wählt?«
    Wilson schüttelte den Kopf. »Ich sage nicht, das sei gut oder schlecht. Natürlich möchte ich nicht, daß Menschen verhungern oder leiden oder an Krankheiten sterben. An dem Punkt fahre ich mich fest. Ich begreife, daß der soziale Fortschritt dieses Jahrhunderts gut ist, auf lange Sicht ist er aber doch nicht gut.«
    »Der Konflikt zwischen augenblicklichem Vorteil und langfristigen Wirkungen«, sagte Brewster ruhig. »Den können Sie nicht lösen.«
    »Genau. Wir haben die biologische Auslese abgeschafft«, rief Wilson. »Alle werden sie erwachsen, beinahe alle haben Kinder und leben bis ins hohe Alter zufrieden und erfüllt. Klugheit zahlt nicht mehr. Der Wettstreit der Begabungen fällt weg.«
    »Und die biologische Evolution des Menschen wird abgebremst«, fügte Brewster hinzu. Er klopfte gegen den Dinosaurier auf seinem Schreibtisch. »Deshalb habe ich ihn hier aufgestellt. Nach einiger Zeit paßten sich die Dinosaurier nicht mehr an. Die verließen sich auf ihre Größe, ihre Stärke. Deswegen gibt es sie heute nicht mehr. Vielleicht gibt es in ein paar Millionen Jahren den Menschen auch nicht mehr.«
    Wilson lachte. »In ein paar Millionen Jahren! Wie können Sie jemanden dazu bringen, sich darüber Sorgen zu machen? Das können Sie nicht. Das Nachdenken über den augenblicklichen Vorteil ist immer stärker als die Angst vor zukünftigen Gefahren.«
    »Weiß ich«, erwiderte Brewster. »Deshalb habe ich vor zwanzig Jahren diese Organisation gegründet. Nicht, um die Uhr zurückzustellen. Das ist nur ein Aspekt an der Oberfläche. Was ich und meine Mitarbeiter versuchen, ist, diesem unvermeidlichen Abstieg der Menschheit entgegenzuwirken.«
    »Ist er unvermeidlich?«
    Brewster zuckte mit den Achseln. »Er ist vielleicht nicht unvermeidlich. Das hoffe ich wenigstens. Das hängt davon ab, ob es diesem Institut wirklich gelingen wird, den Trend aufzuhalten. Wir eilen auf das Zeitalter des kleinsten gemeinsamen Nenners zu. Es lohnt sich nicht mehr, ein Gehirn zu haben. Es ist heute sogar von Vorteil, kein Gehirn mehr zu haben, wie Sie und viele andere herausgefunden haben. Der Mensch, der zufrieden mit seinem Schicksal ist, kommt wunderbar zurecht. Er ist glücklich. Aber was ist mit dem begabten Außenseiter, der zu neuen Horizonten will und der Angst hat, sich loszureißen? Er leidet. Und er weiß, daß keine hübsche Rente auf ihn warten wird, wenn er wirklich anfängt, unabhängig zu denken, also versucht er, sein Gehirn abzuschalten und mit den anderen mitzulaufen. Nur kann er das nicht. Er weiß, daß das eine Verschwendung ist, und das tut weh.«
    »Na schön«, pflichtete ihm Wilson bei, »die Menschheit fährt gemütlich zur Hölle. Glauben Sie wirklich, daß Ihr Institut die Sache in Ordnung bringen wird? Daß Sie einem riesigen kulturellen Trend entgegenwirken können?«
    »Ich glaube, daß wir es können«, erwiderte Brewster still.
    »Wie? Sagen Sie mir nicht, daß Ihre Zeitungsanzeigen etwas ausrichten werden!«
    Brewster lächelte. »Diese Anzeigen zeigen, daß es uns gibt. Wir sind eine Art Balken im Auge der Öffentlichkeit. Eine Art sokratischer Störenfried, bei dem es den Leuten ungemütlich wird. Ihnen wurde so ungemütlich, daß Sie uns in einem Artikel anprangerten, was mir die Gelegenheit

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