Ufer von Morgen
viele Milliarden Dollar in ein Projekt stecken, von dem wir nichts halten. Mein Land hat die Armut erst vor kurzem abgeschüttelt. Ich weiß nicht, wie wir eine derartige Verschwendung billigen könnten. Möchten Sie noch etwas Tee, Mr. Merrill?«
Merrill verließ den chinesischen Wissenschaftler eine halbe Stunde später und wußte, daß er keinen Millimeter weiter gekommen war. Reed war laut geworden, und Hwang hatte ihn mit Samthandschuhen angefaßt, aber beide waren gleich unbeweglich geblieben. Niemand wollte nachgeben. Es ist höchst ärgerlich, dachte Merrill, so nahe an das interplanetarische Zeitalter heranzukommen und dann steckenzubleiben, weil man kleinlich, politisiert und eigensüchtig war.
Die Voruntersuchung der Kommission würde bald zu Ende sein. Man würde der Vollversammlung Entschließungen vorlegen. Das Ergebnis war vorauszusehen. Man war am toten Punkt.
Vereinte Nationen, New York, 26. März. - Der Versuch, die Besiedlung des Mars von zwei Seiten anzugehen, endete heute in der Vollversammlung erneut mit einem Patt zwischen Ost und West. Der Vorschlag der Vereinigten Staaten, 180 Milliarden Dollar aus dem Haushalt der Vereinten Nationen für die Umwandlung des Mars in einen bewohnbaren Planeten bereitzustellen, wurde mit 49 zu 43 Stimmen abgelehnt, wobei sich dreizehn Mitglieder der Stimme enthielten. Für die Bewilligung wären siebzig Stimmen erforderlich gewesen.
Zwei Stunden später legten die Chinesen ein Programm vor, bei dem es um die Bewilligung von 110,5 Milliarden zur Schaffung einer Rasse von Wesen ging, die die gegenwärtigen Bedingungen auf dem Mars überleben könnten. Er wurde mit einer größeren Mehrheit von 52 zu 41 Stimmen bei zwölf Stimmenthaltungen abgelehnt.
- New York Times vom 27. März 2052.
Dane Merrill versuchte, sich zu entspannen. Es gelang ihm nicht. Sein Verstand kehrte immer wieder zur Vollversammlung – und was sich in ihr in den letzten Tagen abgespielt hatte – zurück.
Nichts konnte der Krise ihre Schärfe nehmen. Merrill brütete vor sich hin. Zwei stolze, eigensinnige Gruppen wollten von ihrem Standpunkt nicht lassen, und die Sache konnte für alle Ewigkeiten an diesem toten Punkt hängenbleiben. Oder zumindest bis in jene fernen Zeiten, in denen die Menschheit sich nicht mehr um so vergängliche Dinge wie Nationalstolz und wirtschaftlichen Nutzen kümmern würde.
Am Abend, an dem der dänische Kompromißvorschlag von der Vollversammlung laut und deutlich abgelehnt wurde, hatte Ellen Merrill ein Ehepaar aus der Nachbarschaft auf ein paar Drinks eingeladen.
Ellen hatte die Gäste geschickt ausgesucht. Das Gespräch kam kein einziges Mal auf den toten Punkt, an dem die Verhandlungen vor den Vereinten Nationen angelangt waren.
Als die beiden endlich allein waren, wandte er sich an seine Frau und fragte sie ungehalten: »Wieso hast du heute diese Leute eingeladen?«
»Wieso, wieso?« So schnell fiel Ellen keine Antwort ein. »Die haben sich hier immer wohl gefühlt, und ich dachte, sie gefielen dir. Es sind schließlich angenehme Leute, und –«
»Angenehme Leute? Glaubst du, daß dieser angenehme Mann und seine angenehme Frau im Leben auch nur einmal gedacht haben? Glaubst du, die wissen überhaupt, was für ein Unsinn dieser Tage in der Vollversammlung stattfindet? Wissen die –«
Ellen nahm seine Hand. »Glaubst du, daß sich jeder solche Sorgen wie du um den Weltraum macht? Die denken so wie ich, Dane. Alles wird schließlich schon richtiggehen. Dieser Stillstand kann nicht ewig dauern. Jemand wird nachgeben.«
»Klar«, antwortete er düster. Er machte seine Hand frei, ging auf die Dachterrasse und starrte zum Nachthimmel hinauf. Ein leuchtend kupferroter Punkt, zu groß für einen Stern, hing unheilschwanger in der Höhe. Der Mars. »Klar«, brummte er, »jemand wird nachgeben. Es wird eben nur fünfhundert Jahre dauern, aber dann wird schon jemand nachgeben.«
Er ging wieder hinein und sagte: »Es muß eine Antwort geben, Ellen. Irgendwo. Und ich kann mich nicht entspannen, bis diese Antwort nicht gefunden ist. Tut mir leid, mein Liebes.«
»Du mußt dich nicht entschuldigen, Dane. Nimm die Dinge nur ein wenig leichter. Du bringst dich mit deinen Sorgen über eine Lage um, die du nicht ändern kannst.«
»Weiß ich. Verdammt, ich wollte, ich könnte sie ändern!«
Am nächsten Morgen suchte Merrill das Büro St. Legers auf. Er traf den dicken Generalsekretär in schlechter Laune an.
»Ich verbrachte den gestrigen Abend mit fünf
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