Uferwald
euren Wohnungen?«, mutmaßte Czybilla.
»Ja.«
»Einen Mann zum Kind hat sie also nicht?«
Luzie schüttelte den Kopf. »Bilch, ich hab deine blöden Klischees satt. Denk dir doch, was du willst.«
K eine weiteren Fragen?« Der Staatsanwalt und der Vertreter der Nebenklage schüttelten die Köpfe, Eisholm machte – ohne auch nur den Blick zu heben – eine abwehrende Bewegung mit der schmalen, langfingrigen Hand. Kuttler wandte sich zur Saaltür, beinahe hätte er seinen Mantel und das Buch darunter vergessen, aber der Justizbeamte am Eingang deutete mit einer kurzen Handbewegung auf den Stuhl, auf dem beides abgelegt war.
Draußen beschloss Kuttler, dass er erst einmal einen Kaffee brauchte. Er verließ das Justizgebäude über den westlichen Ausgang und ging in die Platzgasse, zu Tonio, der kleinen Cafébar gleich am Anfang, und bestellte sich einen doppelten Espresso.
Außer ihm waren nur noch zwei Gäste bei Tonio – ein Paar, das hinten am Tresen saß, auf den beiden letzten Hockern, Kuttler hatte die beiden schon öfters dort gesehen, ganz in sichversunken. In seiner Manteltasche steckte das Buch, das ihm nicht gehörte und das ihn nichts anging und das er zurückzubringen hatte... Aber merkwürdig. In dem letzten Eintrag, den er gelesen hatte, war dieser junge Mann Tilman Gossler hier in diesem Café gewesen – was heißt junger Mann? Kuttler und er waren beide gleichen Jahrgangs... Tilman also war hier in diesem Café gewesen und hatte wen beobachtet? Einen älteren Mann, der sich einmal im Zug nach Tübingen mit ihm unterhalten hatte, Tilman hatte sich überlegt, ob er ihn wegen dieses Rechtsanwalts Dannecker ansprechen solle, aber der Grauhaarige war diesmal im Gespräch vertieft mit einem Menschen, der... – Kuttler konnte nun doch der Versuchung nicht widerstehen und schlug das Buch noch einmal auf – schon am Vormittag einen gespritzten Weißen trinken muss...
Zwei Männer kamen zur Tür herein und hängten ihre Mäntel an den Garderobenhaken auf. »Was wollen Sie?«, sagte der eine von ihnen, ein Mann mit einer Halbbrille und kurz geschorenem Haar, »Eisholm ist ein VIP, das will morgen auch der Vorsitzende Richter lesen, dass so jemand vor seiner kleinen unbedeutenden Kammer aufgetreten ist... Tonio, einen Gespritzten!«
Für einen Augenblick oder auch nur den Bruchteil davon überkam Kuttler die Empfindung, ertappt worden zu sein. Von wem? Der Wirklichkeit? Natürlich wusste er, wer der Mensch mit der Halbbrille war, auch wenn er vorhin während seiner Vernehmung nicht wahrgenommen hatte, dass der Gerichtsreporter Frentzel in der Verhandlung saß, schließlich hatte ihm Eisholm nicht die Zeit gelassen, sich im Saal umzusehen.
»Aber sagen Sie mir doch, was dieser ganze Auftritt bringen soll«, meinte der andere Mann und nahm an dem Tischchen neben Kuttler Platz, nachdem er eine große und etwas abgeschabte Aktentasche daneben abgestellt hatte. Er war hoch gewachsen, hatte eine weiß-gelbliche Haarmähne, die wohl einmal blond gewesen war, und eine auffällige vorspringende Nase. »Diese Konfliktverteidigung kommt hier in Ulm nicht gutan, das war noch nie so, das bringt nur den Beifall der Galerie ein...« Er bestellte einen Espresso und einen Grappa.
»Nicht nur Beifall«, widersprach Frentzel. »Vor allem bringt es Honorar ein, das sollte ich Ihnen doch nicht sagen müssen, mein Lieber! Übrigens...« Er beugte sich nach vorne, so dass er an seinem Begleiter vorbei zu Kuttler sehen konnte, und nickte ihm zu. »Sie haben sich ja gut gehalten, Kompliment!«
Auch der andere Mann wandte den Kopf und machte ein Gesicht, als wolle er sich notgedrungen dem Lob anschließen. Ihn hatte Kuttler schon in der Verhandlung wahrgenommen, es war ein Anwalt, der Vertreter der Nebenklage.
»Wenn’s der Wahrheitsfindung gedient hat«, antwortete Kuttler. »Sie haben schon Feierabend?«
»Ich noch nicht«, sagte Frentzel. »Leider nicht. Aber nach Ihrer Vernehmung wurde ziemlich schnell vertagt. Herr Staranwalt Eisholm ermangeln zur Zeit eines Führerscheins und müssen mit dem ICE zurück nach München... Was macht eigentlich die Nachfolge von Berndorf? Noch immer kein weißer Rauch?«
Kuttler drehte die Hand um, so dass die leere Handfläche zum Vorschein kam. »Unserem scheidenden Landesvater hat man soeben einen eigenen Fahrer und eine eigene Sekretärin für den Ruhestand bewilligt. Irgendwo muss die Landesregierung doch sparen.«
Der Anwalt neben ihm lachte, etwas zu laut, wie Kuttler
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