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Uferwald

Titel: Uferwald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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weil die Frau umfällt, wenn Bilch ihr seine vier Weizenbiere ins Gesicht bläst, und steht auf und geht an die Theke und redet mit der Frau und bringt sie an den Tisch. Die Frau hält ein Glas Weißwein in der Hand und sagt: »Hallo!« und lächelt und setzt sich auf den freien Platz neben dem Bilch.
    »Ich bin die Solveig.«
    Solveig hat langes, blauschwarzes Haar, und ihre Augen sind nicht einfach grau oder blau, sondern in das Grau ist ein Farbton beigemischt, es dauert eine Weile, bis mir einfällt, was es ist: Es ist die Farbe der Schlehen, wie man sie im Oktober in den Hecken auf der Alb findet.
    »Verstehst du das?«, fragt mich Juffy.
    Ich antworte nicht. Luzie war es langweilig. Das ist kein Wunder, wenn man den Bilch am Tisch hat und auf Schleicher irgendwie sauer ist. Von mir will ich gar nicht reden. Also packt sie die erstbeste Gelegenheit am schwarzen Schopf und lässt den Bilch darauf los. Oder die Gelegenheit auf den Bilch. Das ist so gut wie sonst eine Seifenoper. Die Clique vom GlucksKasten, 127. Folge.
    Vielleicht will sie auch der Puck eins draufgeben, wie mir beim Schreiben dämmert, weil es doch vermutlich die Puck selbst war, die dem Bilch die Lederjacke ruiniert hat und trotzdem die Chesterfield ohne Steuermarke zugesteckt bekommt. Zwei-Fliegen-Luzie.
    »... dir gegenüber sitzt der Bilch, er ist bei der Handels- und Gewerbebank und wird dort irgendwann ein ganz großes Rad gegen die Wand fahren«, höre ich Luzie sagen, »und das hier ist Tilman, man sieht es ihm ja nicht direkt an, aber irgendwann kommt sogar er groß raus und schreibt einen Roman, da kommen wir dann alle drin vor, und dieser Abend vielleicht auch, stell dich also gut mit ihm.«
    Solveig schaut mich an, fragend oder besser: forschend, als sei ich ein irgendwie merkwürdiges oder sonst missratenes Insekt. Ich gebe den Genervten, werfe einen Blick zur Decke und hebe abwehrend beide Hände.
    Ich hätte sagen sollen, in ruhigem, freundlichem Ton, dass ich schon einmal ein oder zwei Bücher gelesen hätte – gelesen! nicht geschrieben – und dass jemand von Luzies Bildungsstand das einfach nicht schnallt... Aber nie fällt mir so etwas rechtzeitig ein.
    »Stellt euch vor«, fährt Luzie fort, »wie ich neulich bei ihm bin, liegt ein dickes Buch mit einem weinroten Einband auf seinem Tisch, kein Aufdruck, nichts, und ich denke, was ist das und was steht da drin, und Tilman sagt, ich soll die Finger davon lassen, also schlage ich es auf – und wisst ihr, was drin war?« Triumphierend sieht sie sich um. »Nichts war drin. Lauter leere Seiten. Das ist eben Tilman...«
    Und das ist eben Luzie.
    »Und was macht Tilman, wenn er nicht gerade keinen Roman schreibt?«, fragt Solveig und sieht mich schlehenäugig an. Ihre Stimme hat etwas, das ich nicht beschreiben kann. Katzen müssten sofort zu schnurren beginnen, sobald sie diese Stimme hören.
    Luzie antwortet etwas in der Art, dass wir alle irgendwie und irgendetwas studieren würden, und Bilch fällt es ein, witzig sein zu wollen, und deutet mit dem Bierglas auf mich:
    »Er studiert Jura so, wie er keine Romane schreibt. Auf lauter leeren Seiten.«
    Für einen Augenblick überlege ich, ob ich ihm das Bierglas wegnehmen und über ihm ausleeren soll. Oder gehen.
    Aber dann sagt Solveig, Bücher mit leeren Seiten und gar nichts drin könnten sehr schön sein und außerdem praktisch. Juffy will daraufhin wissen, was Solveig denn mit Büchern zu tun habe, und sie sagt, dass sie in einer Buchhandlung jobbt, beim Schoepflin, und ich sehe, wie Luzie sie anschaut, als ob daran etwas anrüchig wäre oder seltsam.
    Irgendwann kommt Puck vorbei, und ich sage, sie soll mir einen Kaffee bringen, und als sie ihn bringt, schiebe ich meinen Stuhl ein Stück zurück, als gehe es mir darum, den Tisch besser zu übersehen. Vermutlich will ich der Neuen – warum nenne ich sie nicht bei ihrem Namen –, vermutlich will ich Solveig also nur zeigen, dass ich nicht wirklich dazugehöre, nicht zu der lieben Isolde, über die es so wenig zu sagen gibt wie über den Bilch, nicht zur Zwei-Fliegen-Luzie oder zu Juffy, der den armen Obdachlosen alte deutsche Schlager auf der Klampfe vorsingt... Das Gespräch dreht sich um den Film, den sich Solveig angesehen hat, es ist kein neues deutsches Lustspiel, sondern ein neues deutsches Melodram, und die Hauptdarstellerin hat ein Pferdegesicht, wie Luzie behauptet und ausführlich darlegt, weshalb sie den Film auch gar nicht gesehen hat und nicht sehen will, so dass

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