Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Uferwald

Titel: Uferwald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
Vom Netzwerk:
überhören
    W enn wir hier im Viertel jetzt Sperrmüll hätten«, sagte der Mann in dem grauen Arbeitskittel, »dann wär das heute Nacht schon weg gekommen. Die Rumänen hätten das Ding abgeholt und aufgeladen und ab damit in die Batschka! Aber wenn keine Sperrmüllabfuhr ist, kommen auch keine Rumänen.«
    Gemeinsam betrachteten Kuttler und Erwin Heimerdinger – der Mann in dem grauen Kittel – den Kühlschrank. Er stand noch immer mitten auf dem Stellplatz, groß und sinnlos und anklagend. Wieso anklagend?, überlegte Kuttler. Jedenfalls war klar, dass der Kühlschrank dort nicht bleiben konnte. Tagsüber war der Parkplatz für die Kunden des »1. Ulmer Bastel- und Eisenbahnladens« im Erdgeschoss reserviert, wo Heimerdinger Spielzeug aus zweiter Hand und Zubehör für alte Modelleisenbahnen verkaufte.
    »Haben Sie von den Stadtwerken schon den Aufkleber für den Mülleimer bekommen?«, fragte Heimerdinger. »Da sind auch Anmeldungen zur Sperrmüllabfuhr dabei. Und wenn sie bei den Stadtwerken genug Anmeldungen haben, kommen die schon, auch wenn es eine Weile dauert, aber vorher sind die Rumänen da.«
    »Ich glaub, ich hol mal meinen Opel«, meinte Kuttler. »Wenn Sie mir nachher behilflich sein könnten...«
    »Ein alter Mann ist kein Lastkran«, kam die Antwort. »Aber schau’n wir mal.«
    Kuttler ging zur Syrlinstraße, wo er gestern Abend seinenOpel abgestellt hatte. Es war noch früh am Tag, die Luft roch frisch, aber es war neblig, und selbst die Dachfirste der kleinen Häuser in der Neustadt schienen im grauen Dunst zu verschwinden. Er stieß mit dem Opel bis zu dem Stellplatz zurück.
    »So kriegen Sie den nicht in den Kofferraum«, sagte Heimerdinger. »Nicht quer.«
    Kuttler öffnete die Heckklappe, löste die Verankerung der Banklehne auf dem Rücksitz und klappte sie nach vorne. Dann kippten er und Heimerdinger den Kühlschrank auf die Ladefläche und schoben ihn schließlich vollends hinein.
    »Das wäre geschafft«, sagte Kuttler.
    »Jetzt geht Ihnen die Heckklappe nicht mehr zu«, meinte Heimerdinger. Kuttler versuchte es, aber es stimmte, die Klappe setzte auf dem Kühlschrank auf.
    »Warten Sie mal«, meinte Heimerdinger. Er ging in seinen Laden und war erst einmal verschwunden.
    So ist das, dachte Kuttler. Du willst einen Mord aufklären, der fast ein perfekter gewesen wäre. Das Lügengewebe zerreißen, in dem sich alle eingesponnen haben, die etwas wissen müssten. Alles Mögliche willst du.
    Und verstehst es nicht einmal, einen alten Kühlschrank loszuwerden.
    Heimerdinger erschien, ein Bündel Spannseile in der Hand. »Das verankern wir jetzt so, dass nicht mal Ihre Kollegen was dran aussetzen können.«
     
    D er Wetterbericht hatte es offen gelassen, ob sich der Hochnebel im Lauf des Tages auflösen würde.
    »Ein bisschen Sonne wäre schön«, sagte Harald Treutlein, »die ganze Sache soll ja nicht so verbissen werden, sondern eher wie ein fröhliches Bürgerfest, dass alle sehen, das ist eine freundliche, intakte Gemeinschaft.«
    Isolde schwieg, aber das hatte nichts zu bedeuten. Treutleinwusste, dass seine Frau ein Morgenmuffel war, vor allem wenn die Schule auf sie wartete.
    »Ich bin doch sehr froh«, fuhr er fort, »dass wir das Flugblatt noch überarbeitet haben. Der ursprüngliche Entwurf wäre zu verletzend gewesen, weißt du, der hätte uns angreifbar gemacht.«
    Die Ampel vorne sprang schon wieder auf Rot.
    »Was ist ein Flugblatt?«, fragte sein Sohn Johannes. Treutlein drehte sich um. »Hinten im Kofferraum ist ein ganzer Stapel. Das sind sozusagen lauter Briefe, und wenn wir heute Nachmittag den Umzug machen, dürft ihr auch welche verteilen.«
    »Weiß ich nicht, ob ich das will«, sagte Johannes. »Warum verteilst du deine Briefe nicht selber?«
    Die Ampel schaltete auf Grün, Treutlein fuhr wieder an. »Wenn du nicht willst«, sagte er kühl, »dann eben nicht. Dann kriegen bloß Mona und Rebecca und die anderen welche, und du nicht.«
    Vor Isoldes Schule hatte sich, wie jeden Morgen, eine Schlange von Autos gebildet, viele Landrover darunter, und von diesen war jeder zweite mit dem Bullenfänger-Rammschutz ausgerüstet, vor dessen Gefährlichkeit jeder Verkehrsclub warnte. Die Autos und also auch die Landrover gehörten ausnahmslos Müttern, die damit ihre Kinder zur Schule brachten.
    »Sag mal«, sagte Treutlein rasch, als Isolde aussteigen wollte, »kannst du deinen Schülern nicht etwas von unserer Demonstration erzählen und dass sie natürlich alle eingeladen

Weitere Kostenlose Bücher