Uhrwerk Venedig (German Edition)
erschossen wurdest! Ich hab’ den verdammten Bolzen aus deinem verdammten Hals gezogen!«
»Ein byzantinischer Zielsuch-Pfeil, kein Bolzen«, korrigierte Cresciczo trocken. » Ich dachte, das hättet Ihr inzwischen herausgefunden. Ihr habt ihn ja leider mitgenommen. Und wenn Ihr ihn richtig untersucht hättet, wüsstet ihr inzwischen, dass er kein tödliches Gift enthielt, sondern nur ein lähmendes. Ich war zu besoffen und habe zuviel geredet. Man wollte nur verhindern, dass ich die Operation gefährde. Ich habe noch immer Kopfschmerzen und bin also verdammt schlecht drauf. Aber ich bin nicht tot. Also verschwindet. Das hier ist eine Operation der Guardia. Wir sehen uns später. Aber falls jemand von euch auf die Idee kommen sollte, weiterzugehen, werde ich ihn erschießen.«
In diesem Moment zweifelte niemand am Wahrheitsgehalt seiner Worte.
Niemand außer Don.
»Nein, Cresio. Ich kenne dich zu gut.«
Er blieb trotzig stehen, auch wenn die anderen langsam zurückwichen.
Im Nebel hinter dem doch nicht toten Gardisten schabte ein Bootsrumpf an das entfernte Ende des Steges.
Cresciczo ging langsam rückwärts, ohne jedoch die Balestra oder die Augen von Don’s Gestalt zu nehmen.
»Empfangskommitee?« war eine leise Stimme gedämpft aus dem Nebel zu hören, von dort wo das Boot, zweifellos die Buffone, angelegt haben musste.
»Ich bin hier, Signore. Der Nachtwind ist verdammt kalt.«
»Und die Lagune erst. Wir wurden von einer Seeschlange angegriffen«, die Stimme des unsichtbaren Mannes ließ deutlich erkennen, dass er seinen Text mit Mühe auswendig gelernt hatte; er rezitierte die Zeilen mit der hörbaren Mühe eines von seinem Lehrer unerwartet abgefragten Schülers.
»Zweifelsohne kein Problem für die polizia laguna. Sie ist dazu ausgebildet, die Schlangen im Reich zu vernichten«, antwortete der Vermummte routiniert.
»Für...äh...fürwahr! Ebenso, wie sie mit ihrem Glanz das Un ... äh ... Ungeziefer ...«, die Stimme stockte mit einem panischen Unterton.
»... das Ungeziefer und die Schaben der Nacht aus der Bettstatt der Republik tilgen wird, Sospiri. Bei Gott und den Propheten, so schwer ist es doch wirklich nicht!«, stöhnte Cresciczo. »Und ewigen Ruhm und Ehre der Garde und dem Reich.«
»Genau.« Der unsichtbare Sprecher im Nebel klang erleichtert. Er und Cresciczo überhörten geflissentlich das Kichern, das von unsichtbaren Ruderern durch den Nebel sickerte. »Guten Abend, Vigile Cresciczo. Bin ich froh, wenn das hier vorüber ist. Der verdammte Byzantiner hat sich fast von der Guardia Costiera aufbringen lassen. Denen hat wohl keiner gesagt, dass wir ihn erwarten.«
»Vermutlich nicht, Sospiri. Also haltet den Rand. Habt Ihr die Lieferung?«
Irgendjemand erklomm mit hörbarer Mühe das im Nebel verborgene Ende des Steges. »Ist ja gut. Ja, ich habe sie. Muss ja irrsinnig wichtig sein, wenn ...«
Die Gestalt trat aus dem wabernden Weiß neben den Gardisten und bemerkte erst jetzt die Armbrust in dessen
Hand, wie auch Don, der immer noch reglos auf dem Steg verharrte.
»Probleme, Vigile?«
»Nein. Nicht wirklich. Das Paket?« Cresciczo löste eine Hand von der Waffe und streckte sie erwartungsvoll aus.
Sein Bekannter warf einen Blick auf die über zehn Pfund schwere Waffe, die in der Hand des Gardisten nicht im Geringsten schwankte, und schluckte.
»Äh...gut, Vigile. Wie Ihr meint. Wir sollen Euch nicht zufällig mitnehmen und ein Stück weiter absetzen?«
Der Vigile reagierte nicht. Seine freie Hand verharrte jedoch weiter reglos unter der Nase des Fragers.
»Gut ... gut ... wie Ihr wollt.« Die sichtlich verunsicherte Gestalt holte ein längliches Paket unter ihrem Mantel hervor und hielt es ihm hin. Und legte es dann, nach einem kurzen, stummen Moment in die ausgestreckte Hand.
»Äh. Ja. Also ... also dann ...«
»Ja, Signore. Eine gute Nacht, Signore.«
»Ja, Vigile. ... Äh ... Buona notte...«
Nach einem weiteren peinlichen Schweigen wandte sich die Gestalt mit einem deutlichen Schulterzucken ab und verschwand wieder im Nebel – und vermutlich auch im Boot, denn gleich darauf legte dieses schabend ab und entfernte sich mit leisen Ruderschlägen.
»Also gut, Cresio. Und jetzt?« fragte Don leise, »Was willst du jetzt tun? Ich werde hier nicht weg gehen.«
Die Gestalt des Vigile stand reglos in den milchigen Schwaden, im unwirklichen Licht der einsamen Blendlaterne, die Armbrust noch immer auf ihren Freund gerichtet.
»Und du wirst nicht auf mich schießen.
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