Ulrich Kienzle und die Siebzehn Schwaben: Eine Reise zu eigenwilligen Deutschen (German Edition)
viele Firmen, kleinere Zulieferer, kaputtgegangen oder aufgekauft worden. Aber es gibt ja durchaus noch Industrien, in denen England eine große Bedeutung hat. In der Mode zum Beispiel. London ist auch heute noch eine Modestadt. Es gibt unheimlich viele kleinere Labels.
Die Herrenmode war in den 50er-, 60er-Jahren ja ganz von England bestimmt!
Wenn es um Geschneidertes geht, gibt es heute noch Taylor 11 , die super Sachen machen. Zum Beispiel in der Savile Row. Das ist nicht nur Tweed. Stella McCartney ist vielleicht eine der bekanntesten Marken hier. Und es gibt unheimlich viele kleine Labels, die ankommen und die trendy sind und nicht Haute Couture. Da muss man ja immer unterscheiden zwischen Mode und Haute Couture.
Aber die britische Automobilindustrie ist doch eigentlich kaputt?
Austin Healey, Rover und Triumph – das waren tolle Marken. Die Autos waren schön. Aber die Qualität … Und die muss stimmen, wenn man wettbewerbsfähig sein will.
Auch Aston Martin hatte jahrelang große Probleme. Wenn ich es richtig gelesen habe, hatte die Firma in ihrer Firmengeschichte nie Gewinne gemacht.
Das haben Sie jetzt sehr nett ausgedrückt. Die Firma war in den knapp 90 Jahren ihres Bestehens bis zum Jahr 2000 sechsmal Konkurs, ist aber – und das ist das ganz Besondere – nicht verschwunden wie viele andere Marken. Sie hat trotzdem weitergelebt – weil es immer wieder Menschen gegeben hat, die das fortgeführt haben.
Weil die Marke ein Mythos ist?
In 87 Jahren Firmengeschichte, von 1913 bis ins Jahr 2000, hat Aston Martin nur 15000 Autos gebaut!
Im Jahr?
In 87 Jahren!
Und dann kommt ein Schwabe – und plötzlich funktioniert es?
Seit ich dabei bin, von 2000 bis 2012, haben wir 50000 Autos gebaut. In 100 Jahren Firmengeschichte also nur 65000 Autos, davon 50000 unter meiner Führung.
Ist das das Ergebnis von schwäbischem Fleiß, von schwäbischer Gründlichkeit oder von irgendwas, was die Engländer nicht haben?
Es könnte ja auch sein, meine Eltern hätten in Hamburg gewohnt und ich wäre dort aufgewachsen, dann wäre ich möglicherweise der Gleiche gewesen. Wer weiß? Aber es ist natürlich schon möglich, dass das eine sehr schwäbische Eigenart ist. Schwaben war ja über lange Zeit sehr arm, die Leute haben gelernt, sich durchzubeißen. Meine Vorfahren väterlicherseits kommen von der Schwäbischen Alb, von Hausen an der Lauchert, Trochtelfingen. Hunderte von Jahren sind die da gewesen. Insofern habe ich schon Verständnis von einem harten Leben, von ehrlicher Arbeit. Als ich von Porsche zu BMW ging, habe ich nebenbei promoviert. Ich habe rund um die Uhr geschafft und in dieser Zeit auch ein Haus gebaut. Ich habe selbst mitgearbeitet, Dachstühle ausgebaut und Platten gelegt und betoniert. Was man halt so macht. Das ist schon eine schwäbische Charaktereigenschaft: Wenn man mal beschlossen hat, was man machen will, setzt man das auch mit aller Kraft und Fähigkeit um. Und lässt dann nicht locker und weiß auch genau, wohin man will.
Was genau haben Sie bei Aston Martin eingebracht?
Ich weiß, was ich will. Im Design, im Stil, in der Harmonie. Was ich unter einem sehr, sehr guten Produkt verstehe. Und wenn es mir gelingt, das meinem Team hier in England als Ziel vorzugeben und die Leute zu motivieren, dann kommt heraus, was wir heute mit Aston Martin haben – nämlich qualitativ höchststehende Produkte. Ich bin der Meinung, dass wir heute eine bessere Qualität bauen als die meisten anderen in dieser Industrie. Unsere Lackqualität ist zum Beispiel mit Sicherheit das Beste, was es überhaupt gibt.
Sie kaufen aber auch sehr viele Autoteile in Baden-Württemberg ein. Das Getriebe zum Beispiel von der Zahnradfabrik Friedrichshafen. Andere Teile von Bosch. Am Dienstwagen von James Bond ist nicht mehr sehr viel britisch.
Wir arbeiten mit den besten Zulieferern der Welt, und in Baden-Württemberg sitzen einige davon. Wir sagen den Leuten in Friedrichshafen, wie wir unser Getriebe brauchen, wie es zu steuern ist, wie es schalten soll. Das heißt: Wir machen die Vorgaben und komponieren dann alles zu einem funktionierenden System. Und damit ist das ganze Ding hier britisch.
Aber der Chef kommt aus Cannstatt.
Wenn heute Bundestrainer Löw nach England ginge, dann wären die Spieler, der Verband, die Fans, der ganze Fußball trotzdem nicht deutsch. Herr Löw würde überlegen: Wie denken die? Und er würde sich auf die Mentalität einstellen, damit er sie zum Erfolg führen kann. Es ist die Aufgabe
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