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Ulrich Kienzle und die Siebzehn Schwaben: Eine Reise zu eigenwilligen Deutschen (German Edition)

Ulrich Kienzle und die Siebzehn Schwaben: Eine Reise zu eigenwilligen Deutschen (German Edition)

Titel: Ulrich Kienzle und die Siebzehn Schwaben: Eine Reise zu eigenwilligen Deutschen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Kienzle
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davon von einer Freundin, die Berlinerin ist und in Prenzlauer Berg lebt.
    Es gibt Demos gegen Schwaben …
    Es ist ein bisschen anstrengend. Ich verstehe es nicht wirklich, aber ich nehme es zur Kenntnis. Ich bin dem nicht ausgesetzt, verstehe aber nicht, wie man auf eine so bescheuerte Idee kommen kann.
    Es gibt eine Menge Schwaben, die nach der Wiedervereinigung nach Berlin gezogen sind, dort Wohnungen und Häuser billig gekauft und renoviert haben. Die Mieten in Berlin sind dadurch gestiegen – meinen die Schwabengegner.
    Ich glaube ja, dass der Schwabe nach Berlin zieht, weil er sein revolutionäres Potenzial dort eher zur Entfaltung bringen kann als in Untertürkheim.
(Sie lacht.)
    Das Berliner Stadtmagazin »Tip« hat die Schwaben als den »langweiligsten Volksstamm der Welt« beschrieben. Jetzt aber sind die Berliner neidisch, weil man mit den Schwaben den »Wutbürger« assoziiert. Da ist etwas passiert – hat Sie das irritiert?
    Mich hat es erstaunt. So ein Aufbegehren, sich gegen eine Autorität stellen, sich dem System widersetzen – das ist ja nicht gerade die urschwäbischste Eigenheit. Und das generationenübergreifend! Meine Mutter ist das erste Mal in ihrem Leben auf eine Demonstration gegangen und rief mich an.
    Ich war ja mal politischer Korrespondent hier. Wenn in den 1960er-Jahren hundert Leute in Stuttgart zu einer Demo kamen, war das schon verdammt viel.
    Mich hat es vor allem als Tochter einer Mutter erstaunt, die – ich hoffe, das nimmt sie mir nicht übel – eigentlich nie wirklich politisch war. Natürlich geht sie wählen, aber sie wäre früher nie zu einer Demonstration gegangen!
    Und was ist mit ihr passiert?
    Sie fand das inhaltlich relevant – und es hat ihr totalen Spaß gemacht. Und ich hatte den Eindruck, dass sie aus Trotz mal was anderes machen wollte, als das, was man sonst vorgeschrieben bekommt.
    Gegen die Obrigkeit?
    Gegen die Obrigkeit! Und als es dann mit den Wasserwerfern losging, ging sie noch immer hin und rief dann immer an: »Ich bin nicht verletzt.« Das hatte echten Revolutionsgeist. Ich glaube, das Glück über sich selbst, sich aus dem vorgegebenen Strom herauszubewegen und gemeinsam mit anderen Leuten etwas anderes zu tun – das war eine ganz wichtige Erfahrung für sie.
    Sprechen Sie in Berlin schwäbisch? Zum Beispiel mit Ihrem Sohn?
    Interessanterweise habe ich gemerkt, dass ich meinem Sohn gegenüber manchmal schwäbische Ausdrücke benutze, die eine große Zartheit haben. Etwas Feinsinniges. Es gibt da etwas ganz Persönliches, das ich dann in diesem Dialekt finde. Natürlich gibt es auch diese berühmten Schimpfwörter – aber ich meine: Schimpfen kann man in jeder Sprache.
    Arschloch – haben Sie das je benutzt?
    Arschloch? Ja natürlich!
    Ohne jeden Skrupel?
    Man kann auf schwäbisch ja wunderbar fluchen – »Herrgottsbimberle no’mol!« Kein Mensch versteht das. Und doch versteht es natürlich auch ein Nicht-Schwabe – weil Kraft dahinter steckt.
    Für eine Schauspielerin hat die Sprache eine besondere Bedeutung. Hochdeutsch ist für viele Schwaben ja die erste Fremdsprache.
    Bei mir gibt es nach wie vor eine Sprachfärbung, die ich übrigens auch sehr mag, weil ich auf so eine Flachtonalität überhaupt nicht stehe. Das hat doch was Musikalisches! Ich habe das nie als Makel empfunden und mich auch nicht mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, zuordenbar zu sein.
    Ist der Dialekt für Sie Heimat?
    Irgendwie schon. Und damit habe ich komischerweise gar nicht mehr gerechnet. Ich habe in Amerika gelebt und habe auf Amerikanisch studiert und ich dachte: Diese Sprache ist ein Teil von mir. Als ich vor drei Jahren einen amerikanischen Mehrteiler gedreht habe, »Säulen der Erde«, habe ich mich dafür nochmals so intensiv mit dem Englischen auseinandergesetzt wie noch nie. Ich habe damals zum ersten Mal mit einem Sprachcoach gearbeitet, um den britischen Akzent zu verfeinern. Meine Ohren und meine Sprache waren aufs Höchste geschärft. Damals lag mein ganzer Fokus in der Sprache, und es war für mich faszinierend, welche Gestalt Sprache annimmt, wenn sie Körper wird.
    Und als ich jetzt diesen schwäbischen Kinofilm gedreht habe, da merkte ich, dass die Arbeit bei mir eine offene Tür einrennt. Mit großer Lust habe ich mich auf das Schwäbische eingelassen – und war dann selber überrascht, dass ein Meer an Gefühlen in mir hochkam. Damit habe ich nicht gerechnet. Das ist vielleicht eine gewisse Nostalgie, vielleicht aber auch der Wunsch nach

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