Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ulysses Moore – Das Buch der Traumreisenden

Ulysses Moore – Das Buch der Traumreisenden

Titel: Ulysses Moore – Das Buch der Traumreisenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierdomenico Baccalario
Vom Netzwerk:
Luft.
    Ihr Vater strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Ich muss zugeben, dass ich Radfahren immer gehasst habe.«
    »Das hättest du mir doch sagen können.«
    »Ich wollte mir auf keinen Fall die berühmte Hakeneiche entgehen lassen. Apropos, wo soll die eigentlich sein?«
    »Ungefähr noch vier Kilometer weiter in diese Richtung.« Anita ließ den Blick über die Landzunge aus Sand und Steinen schweifen, die sich vor ihnen erstreckte. Ihr Vater hingegen betrachtete besorgt den Abhang, den sie soeben hinuntergefahren waren. Der Gedanke, ihn auf dem Heimweg wieder erklimmen zu müssen, bedrückte ihn offenbar. Er wischte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn und prüfte, ob seine Umhängetasche die Abfahrt unbeschädigt überstanden hatte. Sie enthielt eine Wasserflasche, zwei Käsebrötchen, seine Sonnenbrille und ein Buch, das er schon seit einem Monat lesen wollte. »Wir können weiter«, sagte er, als er alle Gegenstände sorgfältig untersucht hatte.
    Bald sahen sie von Weitem die Hakeneiche in den Himmel aufragen – zuerst als unscharfen Punkt in der Ferne, dann immer deutlicher. Wie die Pensionsbesitzerin gesagt hatte, war der Baum tatsächlich nicht zu übersehen. Er war groß und hatte einen dicken schwarzen Stamm, der ihm das Aussehen eines Wachturms verlieh.
    Als Anita auf die Eiche zuging, hörte sie plötzlich ein seltsames Klirren. Ihr Blick fiel auf die vielen Schnüre, an denen Angelhaken in allen Größen und Formen hingen. In der Brise, die vom Meer herüberwehte, stießen sie immer wieder sanft aneinander.
    »Das ist fast so etwas wie ein riesiges Windspiel«, sagte ihr Vater. »Manche Leute glauben übrigens, Windspiele würden die Engel rufen.«
    »Das hier ist wohl eher für die Seelen der Fischer gedacht«, erwiderte Anita.
    Der Brauch, Angelschnüre an die Eiche zu hängen, schien schon sehr alt zu sein. In den Stamm waren viele Namen eingeritzt worden, hinter denen Jahreszahlen standen: Jonathan 1929. Eb-Zwillinge 1886. Matthew 1992. Und viele andere mehr.
    »Faszinierend.« Mr Bloom strich mit der Hand über die Rinde.
    Anita wünschte sich in diesem Augenblick, so gut wie Morice Moreau zeichnen zu können, um den Anblick dieses ungewöhnlichen Baums festzuhalten. Auf einmal war ihr, als wiege das Notizbuch des Malers, das sie im Rucksack bei sich trug, schwer wie ein Stein. Dann dachte sie wieder an das Gedicht: »Verliere ich den Weißen bei der Hakeneiche …«
    Aber obwohl sie vor der Hakeneiche stand, hatte sie immer noch keinen Anhaltspunkt, was diese Worte bedeuten sollten.
    Ihr Vater hatte eine Decke vom Gepäckträger seines Fahrrads genommen, sie auf dem Sand ausgebreitet und sich daraufgelegt, um zu lesen.
    »Endlich!«, freute er sich. Er nahm einen Schluck aus der Wasserflasche und hielt sie Anita hin, doch die schüttelte den Kopf.
    Anita war wie gebannt von der Umgebung. Laut Markus Renner befand sie sich am Ausgangspunkt für die Suche nach Kilmore Cove.
    Aber wie ging es weiter?
    Sie drehte sich vom Meer weg zum Land hin. An der Eiche begann ein Pfad, der auf der anderen Seite im hohen Gras zu enden schien. Ursprünglich hatte Anita vorgehabt, an der Küste entlangzufahren. Wenn das Städtchen tatsächlich am Meer lag, musste sie es auf diese Weise früher oder später finden.
    Sie sah auf die Taschenuhr mit der Eule auf dem Zifferblatt. »›Verliere ich den Weißen‹«, murmelte sie vor sich hin.
    Die Haken an der Eiche sahen alle verschieden aus. War vielleicht ein weißer Haken darunter? Langsam ging sie um den Baum herum.
    »Aber auch wenn es einen gäbe … Wie könnte ich ihn dann verlieren?«, fragte sie sich.
    »Hast du etwas gesagt, Liebes?«, rief ihr Vater vom Strand herüber.
    »Nein, nichts!«
    Ein weißer Haken. Ein weißer Hinweis.
    In die Rinde waren so viele Namen und Jahreszahlen eingeritzt, aber kein einziges Zeichen war weiß. Dafür fiel Anita mit einem Mal ein Name auf, den sie vorher nicht bemerkt hatte.
    »Penelope Moore 1997«, las sie. Von der Stelle aus, an der sie stand, hob sie den Blick und sah zwischen den Ästen und Zweigen ein von Wolken durchzogenes Stück Himmel. Dann schaute sie wieder zu dem Pfad hinüber. Ob er wohl in das Wäldchen führte, das dahinterlag?
    Ich verliere den Weißen, dachte sie. Und wenn damit die Wolken gemeint waren? Und »den Weißen verlieren« bedeutete, den Himmel nicht mehr zu sehen? Weil man in den Wald hineinging? Hm, das war vielleicht etwas weit hergeholt, aber sie konnte es ja

Weitere Kostenlose Bücher