Ulysses
Knaben scholl Gebrüll herüber. Ein schwirrender Pfiff: Tor. Doch was, wenn dieser Albtraum dir einen Tritt versetzte?
- Die Wege des Schöpfers sind nicht unsere Wege, sagte Mr. Deasy. Alle Geschichte bewegt sich auf ein einziges großes Tor zu: die Offenbarung Gottes.
Stephens Daumen schnellte hoch und wies auf das Fenster:
- Das ist Gott!
Hurrah! Aaah! Jaaaaah!
- Was? fragte Mr. Deasy.
- Ein Gebrüll auf den Gassen, antwortete Stephen, die Achseln zuckend.
Mr. Deasy senkte den Blick und hielt seine Nasenflügel eine Weile verkniffen zwischen den Fingern. Dann sah er wieder auf und ließ sie los.
- Ich bin glücklicher als Sie, sagte er. Wir haben viele Irrtümer begangen und viele Sünden. Durch ein Weib kam die Sünde in die Welt. Um ein Weib, das nicht besser war als sein Ruf, Helena, die entlaufene Frau des Menelaos, führten die Griechen zehn Jahre lang Krieg gegen Troja. Ein treuloses Weib brachte erstmals die Fremden an unsere Küste hier, die Frau MacMurroughs mit ihrem Buhlen O’Rourke, dem Fürsten von Breffni. Ein Weib auch brachte Parnell zu Fall. Viel Irrtum, viel Versagen, doch nicht die eine Sünde. Ich bin ein Kämpfer jetzt am Schluß meiner Tage.
Doch werde ich fechten für das Recht bis ans Ende.
Mit Ulster ins Gefecht,
Mit Ulster für das Recht.
Stephen hob die Blätter in seiner Hand.
- Ja, also, Sir, begann er.
- Ich sehe schon kommen, sagte Mr. Deasy, daß Sie nicht sehr lange bei dieser Arbeit hier bleiben werden. Sie sind nicht eigentlich zum Lehrer geboren, glaube ich. Natürlich kann ich mich irren.
- Zum Lernenden eher, sagte Stephen.
Und hier, was willst du hier noch lernen?
Mr. Deasy schüttelte den Kopf.
- Wer weiß? sagte er. Zum Lernen muß man demütig sein. Aber der große Lehrer ist das Leben.
Stephen raschelte wieder mit den Blättern.
- Was nun dies hier betrifft, begann er.
- Ja, sagte Mr. Deasy. Sie haben da zwei Kopien. Wenn Sie können, lassen Sie doch beide sofort erscheinen.
Telegraph. Irish Homestead.
- Ich werde es versuchen, sagte Stephen, und Ihnen morgen Nachricht geben. Ich kenne zwei Redakteure flüchtig.
- Das wird genügen, sagte Mr. Deasy lebhaft. Ich habe gestern abend an Mr. Field, M. P., geschrieben. Heute findet nämlich im City Arms Hotel eine Versammlung der Viehhändler-Genossenschaft statt. Ich habe ihn gebeten, dieser Versammlung meinen Brief vorzulegen. Und Sie sehen zu, ob Sie ihn in Ihren beiden Zeitungen unterbringen können. Welche sind es?
- Der Evening Telegraph …
- Das wird genügen, sagte Mr. Deasy. Es ist keine Zeit zu verlieren. Jetzt muß ich noch den Brief von meinem Vetter beantworten.
- Guten Morgen, Sir, sagte Stephen und steckte die Blätter in die Tasche. Und besten Dank.
- Aber nicht doch, sagte Mr. Deasy, während er in den Papieren auf seinem Schreibtisch wühlte.
Ich breche immer gern eine Lanze mit Ihnen, so alt ich bin.
- Guten Morgen, Sir, sagte Stephen noch einmal mit einer Verbeugung vor seinem gebeugten Rücken.
Er ging hinaus durch die offene Vorhalle und unter den Bäumen den Kiesweg hinunter, und vom Spielfeld herüber hörte er das Stimmengeschrei und das Krachen der Stöcke. Die auf den Pfeilern kauernden Löwen, als er durch das Tor hinausschritt: zahnloser Schrecken. Und doch werde ich ihm helfen bei seinem Gefecht. Mulligan wird mir einen neuen Titel verleihen: der ochsenfreundliche Barde.
- Mr. Dedalus!
Läuft mir nach. Nicht noch mehr Briefe, will ich hoffen.
- Nur einen Augenblick noch!
- Ja, Sir, sagte Stephen und wandte sich um beim Tor.
Mr. Deasy hielt bei ihm an, schwer atmend und seinen Atem verschluckend.
- Eins wollte ich nur noch sagen, sagte er. Irland hat, sagt man, die Ehre, das einzige Land zu sein, das niemals die Juden verfolgt hat. Wußten Sie das? Nein. Und wissen Sie, warum?
Die klare Luft brachte ein strenges Runzeln auf seine Stirn.
- Warum, Sir? fragte Stephen und begann zu lächeln.
- Weil es sie nie hereingelassen hat, sagte Mr. Deasy feierlich.
Ein Hustenanfall Gelächter sprang aus seiner Kehle, eine rasselnde Kette Schleim hinter sich herzerrend. Er wandte sich rasch ab, hustete, lachte, und seine erhobenen Arme fuchtelten durch die Luft.
- Es hat sie nie hereingelassen! schrie er noch einmal durch sein Gelächter, während er gamaschenfüßig, über den Kies des Weges davonstapfte. Darum!
Auf seine weisen Schultern warf durchs Fachwerk der Blätter die Sonne flitterndes Gold, tanzende Münzen.
3. Kapitel – Proteus
Der Meeresgott
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