Um Leben und Tod - Ennigkeit, O: Um Leben und Tod
Bewusstlosigkeit bei ihm ein. Nach mindestens vier und maximal zehn Minuten starb er den Erstickungstod …
Um eventuell eingetragene Faser- und DNA-Spuren zu beseitigen, entkleidete der Angeklagte nun den Körper des Jungen bis auf die Unterhose und duschte ihn in der Badewanne ab. Dann ließ er Wasser einlaufen und drückte den Kopf unter Wasser, um zu »testen«, ob Jakob noch atmete, was aber nicht der Fall war …
Mit dem toten Kind im Kofferraum fuhr er sodann zum Spielpark Louisa, wo er das Auto an einer Telefonzelle parkte; von dort lief er etwa 50 Meter zum Anwesen der Familie von Metzler und warf das Erpresserschreiben … auf das Gelände vor dem Haus.
(aus dem Urteil gegen Magnus Gäfgen)
Nach Erledigung der ersten Formalitäten, setzte sich Vizepräsident Daschner an seine Schreibmaschine.
Das Schlimmste war eingetreten, Jakob war tot. Ein elfjähriges Kind war seiner Zukunft beraubt, alle Hoffnungen und Wünsche, die es in seiner kurzen Kindheit für sein Leben erträumt hatte, waren dahin.
Alles Bemühen war umsonst gewesen, der kleine Jakob hatte keine Chance auf Rettung gehabt. Der Gerichtsmediziner hatte den Todeszeitpunkt auf Freitagvormittag festgelegt. Also sofort nach seiner Entführung. Er, Daschner, hatte also nicht zu lange gewartet und musste sich keine Vorwürfe machen, für Jakobs Tod verantwortlich zu sein. Er hatte es nicht geschafft, sein Versprechen einzuhalten, er hatte es nicht einhalten können. Jakobs Eltern würden mit dieser Tragödie fertigwerden müssen, das Schrecklichste akzeptieren, den Mord an ihrem Kind. Aber sie würden es schaffen. Sie hatten noch zwei Kinder, die ihre Eltern brauchten. Sie müssen es schaffen.
Der Verdächtige Magnus Gäfgen hatte jetzt eingestanden, die Erpressung und Entführung alleine geplant und durchgeführt, aber den Tod Jakobs nicht gewollt zu haben.
Bei der Besprechung zur Pressekonferenz hatte Daschner Oberstaatsanwalt Rainer Schilling und dem Pressesprecher der Polizei, Öhm, mitgeteilt, dass von der Behördenleitung unmittelbarer Zwang als letzte Möglichkeit angedacht worden war. Schilling erhob Bedenken gegen diese Vorgehensweise, sah »dunkle Wolken am Horizont«. Erinnerte er sich nicht an den achtjährigen Denis M. aus Bremen, der am 22. September 1989 auf dem Weg zur Schule entführt und 13 Tage lang gefesselt und geknebelt in einer engen Holzkiste in einem Ferienhaus in der Eifel gefangen gehalten worden war? Bei seiner Festnahme kurz nach der Lösegeldübergabe wurde auf den mutmaßlichen Täter von einem Angehörigen des MEK unmittelbarer Zwang ausgeübt. Der Entführer verriet das Versteck, und Denis wurde lebend dort gefunden. Obwohl der Kollege in einer Selbstanzeige zugab, den Tatverdächtigen geschlagen zu haben, stellte die Staatsanwaltschaft unter Verweis auf den Notstandsparagrafen 34 StGB das Ermittlungsverfahren gegen ihn ein. Der Beamte stieg einige Jahre später auf in den höheren Polizeivollzugsdienst und wurde Leiter einer größeren Organisationseinheit.
Aber Schilling wollte anscheinend die Gewissensnot der Polizei nicht sehen. Er war bekannt dafür, kompromisslos gegen Polizeibeamte vorzugehen. Von ihm hatte Daschner kein Verständnis zu erwarten.
Denis wurde gerettet, aber niemand hätte Jakob retten können, sein Mörder hatte ihm diese Möglichkeit nicht gelassen.
Daschner spannte das Papier in seine Schreibmaschine und tippte los.
PolizeivizepräsidentFrankfurt, 01.10.2002
Da/stApp.: 80001
Entführung des Kindes Jakob von Metzler, geb. 17.04.1991
Am 30.09.2002, gegen 22.45 Uhr, teilte mir KOR [Kriminaloberrat] Edwin F. [Name geändert] mit, dass der Tatverdächtige Magnus Gäfgen weiterhin keine Angaben zum Verbleib des vermissten Kindes gemacht habe. Für den Fall der weiteren Weigerung habe ich die Anwendung unmittelbaren Zwanges angeordnet. Nach Sachlage ist davon auszugehen, dass sich Jakob von Metzler, sofern er noch am Leben ist, in akuter Lebensgefahr befindet (Entzug von Nahrung und Flüssigkeit, Außentemperatur).
Am 01.10.2002, um 06.15 Uhr, teilten mir KOR Edwin F. und KOR Werner T. [Name geändert] mit, dass Gäfgen mittlerweile freiwillig ausgesagt habe. Nach seinen Angaben seien weitere Tatverdächtige festgenommen und Wohnungen – ohne Erfolg – durchsucht worden. Angeblich werde Jakob von Metzler in einer Hütte am Langener Waldsee festgehalten (der Beschreibung nach könnte es auch der Walldorfer Badesee sein). Dort werden zurzeit mehrere Hundertschaften zusammengezogen. Wegen
Weitere Kostenlose Bücher