Um Leben und Tod - Ennigkeit, O: Um Leben und Tod
des ausgedehnten Geländes und fehlender Eingrenzungsmöglichkeiten ist mit einer langen Suchaktion zu rechnen.
Der Vernehmungsbeamte des Gäfgen sei der Ansicht, dass dieser die Wahrheit gesagt habe. Im Gegensatz dazu vertrete der Polizeipsychologe S. die Auffassung, dass es sich um ein Lügengebäude handele.
Zur Rettung des Lebens des entführten Kindes habe ich angeordnet, dass Gäfgen
– nach vorheriger Androhung
– unter ärztlicher Aufsicht
– durch Zufügung von Schmerzen (keine Verletzungen)
erneut zu befragen ist. Die Feststellung des Aufenthaltsortes des entführten Kindes duldet keinen Aufschub; insoweit besteht für die Polizei die Pflicht, im Rahmen der Verhältnismäßigkeit alle Maßnahmen zu ergreifen, um das Leben des Kindes zu retten.
Parallel dazu wurde der Polizeiführer Werner T. beauftragt, zu prüfen, ob ein »Wahrheitsserum« beschafft werden kann.
Die Befragung des Gäfgen dient nicht der Aufklärung der Straftat, sondern ausschließlich der Rettung des Lebens des entführten Kindes.
Die von KOR Achim W. erhobenen moralischen Bedenken wurden in einer weiteren Besprechung mit AD [Abteilungsdirektor] Ritter, KOR W. und KOR Werner T. zurückgestellt (08.00).
KHK [Kriminalhauptkommissar] Ennigkeit wurde angewiesen, den Beschuldigten Gäfgen auf die bevorstehende Verfahrensweise vorzubereiten.
Um 08.25 Uhr teilte Herr Ennigkeit mit, dass Gäfgen »im Konjunktiv« eingeräumt habe, dass Jakob von Metzler tot sei. Später ergänzte er diese Aussage durch den Hinweis auf eine Hütte im Bereich des Langener Waldsees und den Fundort der Leiche bei Birstein.
Durch das inzwischen abgelegte Geständnis war die Maßnahme entbehrlich.
Daschner
Der Vermerk wurde zu den Akten gegeben.
Daraufhin informierte Daschner seinen vorgegebenen Verbindungsmann zum Innenministerium.
Das Handy klingelte. Hans-Joachim Wölfel drückte die Antworttaste.
»Wir haben die Kindesleiche gefunden. Bitte sag der Familie noch nichts. Polizeipräsident Weiss-Bollandt ist auf dem Weg und möchte den Eltern die traurige Nachricht persönlich übermitteln.«
Wölfel steckte sein Handy schnell in die Hosentasche, als könnte er mit dem Verstecken des Gerätes die Nachricht ungehört machen.
»Herr Wölfel, Sie wissen doch mehr, als Sie uns sagen wollen.« Er hörte die Stimme Frau von Metzlers und schüttelte den Kopf. Mein Gott, jetzt musste er auch noch lügen, es gelang ihm nicht, Worte in seinem Mund zu formen.
Jakobs Eltern standen gerade am Fenster, blickten hinaus und sahen den Polizeipräsidenten ankommen. In diesem Moment wurde ihnen klar, dass Jakob nicht mehr lebte, dass sie ihn verloren hatten. Seine Mutter weinte und wurde von ihren Angehörigen umarmt. Als es an der Haustür läutete, öffnete Jakobs Vater die Tür.
Jakob, ein »Bündel Mensch« im schlammigen Wasser. Warum? Aus Habgier und um vor seiner Freundin zu protzen. Es war unvorstellbar, abscheulich. Ich war wütend. Natürlich hatte Gäfgen den Mord noch nicht gestanden. Meister des Schweigens und der Lüge. Und Jakob lag nach seiner Identifizierung auf dem metallenen Tisch und wartete auf die Autopsie – den letzten Versuch einer Gerechtigkeit, der Wahrheit. Ich hoffte nur, dass er nicht hatte leiden müssen, dass Jakob wenigstens diese Qual erspart geblieben war.
Ich habe dem Mörder gegenübergesessen, hatte noch geglaubt, Jakob lebend zu finden. Grausam und ohne Schuldgefühle hatte er Jakobs Eltern mit seinen Falschaussagen vorgegaukelt, Jakob würde noch leben. Ihr Leiden und Hoffen war ihm vollkommen gleichgültig gewesen. Nur ein Spiel, das Gäfgen gewinnen wollte.
Wird die Familie den Verlust ihres Sohnes verwinden? Wie viel Leid kann ein Mensch ertragen, ohne verrückt zu werden? Kann die Erinnerung an den Sohn, wie er spielte, lachte und herumtollte, Trost spenden? Oder muss man sich zwingen zu vergessen?
Ich stand auf und holte mir ein Bier.
Nachdem die Leiche Jakobs gefunden worden war, ordnete Kriminaloberrat Gerhard Budecker an, dass alle weiteren Ermittlungen von dem für Mordfälle zuständigen Kommissariat 11 weitergeführt werden sollten. Die Mitarbeiter des Kommissariates 12 sollten noch alles erledigen, was von ihnen begonnen worden war und geleistet werden musste.
Noch am 1. Oktober wurde Magnus Gäfgen mit der Ermittlungsakte dem Haftstaatsanwalt überstellt. Der zuständige Haftrichter Werner Dimde ordnete die Untersuchungshaft an.
Vor dem Haftrichter äußerte sich der Beschuldigte nicht zu den Vorwürfen.
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