Um Leben und Tod - Ennigkeit, O: Um Leben und Tod
Hälfte der staatlichen Verpflichtung, nämlich zum Schutz der Menschenwürde des Opfers, enthält das Urteil kein einziges Wort!
Ob die Menschenwürde verletzt sein kann, hängt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts von den jeweiligen Umständen ab. Offenbar lässt sich das nicht generell sagen, sondern immer nur in Ansehung des konkreten Falles:
»Allgemeine Formeln wie die, der Mensch dürfe nicht zum bloßen Objekt der Staatsgewalt herabgewürdigt werden, können lediglich die Richtung andeuten, in der Fälle der Verletzung der Menschenwürde gefunden werden können. Der Mensch ist nicht selten bloßes Objekt nicht nur der Verhältnisse und der gesellschaftlichen Entwicklung, sondern auch des Rechts, insofern er ohne Rücksicht auf seine Interessen sich fügen muß. Eine Verletzung der Menschenwürde kann darin allein nicht gefunden werden. Hinzukommen muß, daß er einer Behandlung ausgesetzt wird, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt oder daß in der Behandlung im konkreten Fall eine willkürliche Missachtung der Würde des Menschen liegt. Die Behandlung des Menschen durch die öffentliche Hand, die das Gesetz vollzieht, muß also, wenn sie die Menschenwürde berühren soll, Ausdruck der Verachtung des Wertes, der dem Menschen kraft seines Personseins zukommt, also in diesem Sinne eine ›verächtliche Behandlung‹ sein« (BVerfG, Urt. v. 15.12.1970, NJW 1971, 279).
Wird die Menschenwürde eines Verbrechers tatsächlich »missachtet«, wenn er gezwungen wird, die von ihm angestrebte Ermordung eines unschuldigen Kindes zu unterlassen? Kann es Bestandteil der Menschenwürde dieses Verbrechers sein, diesen Mord ungestört von staatlicher (polizeilicher) Intervention vollenden zu dürfen?
Nach unserem Urteil war ich froh, dass alles vorbei war. Doch mittlerweile denke ich, dass es besser gewesen wäre, wenn wir eine höchstrichterliche Entscheidung eingeholt hätten, weil sie möglicherweise anders ausgesehen und Polizeikollegen bei neuen Fällen von Entführungen und Geiselnahmen Rechtssicherheit gebracht hätte. Das Recht kann doch den Opfern gegenüber nicht blind sein und ihnen die Menschenwürde absprechen!
Garantiert der Staat nicht den Schutz des Bürgers?
Die elementare Schutzpflicht des Staates für das Leben und die Sicherheit seiner Bürger hat eine lange Tradition. Der Staat wurde im Laufe der Geschichte verpflichtet, aktiv für den Schutz seiner Bürger einzutreten. Der Bürger musste dafür Gewaltverzicht einräumen. Da aber der Bürger nicht rechtlos gestellt werden konnte gegenüber denjenigen, die gegen ihren eigenen Gewaltverzicht verstoßen, muss der Staat ihm zur Seite stehen.
Es ist Aufgabe des demokratischen Rechtsstaates, keine rechtsfreien Räume entstehen zu lassen. Auch die Hessische Landesregierung hat diese staatliche Schutzpflicht ausdrücklich bestätigt: »Der moderne Rechtsstaat beansprucht das Gewaltmonopol in der Gesellschaft und garantiert im Gegenzug den Schutz des Bürgers« (Landtags-Drucksache [LT-Drucksache] 13/6545 vom 20.09.1994). Daraus folgt, dass der Staat zum Schutz seiner Bürger mindestens das leisten muss, was der Bürger zu seinem Schutz selbst unternehmen dürfte.
Die Polizeibehörden der Länder haben deshalb die Aufgabe und die gesetzliche Befugnis, Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren. »Öffentliche Sicherheit« bezeichnet die Gesamtheit der Rechtsgüter der Allgemeinheit und des Einzelnen, deren Schutz im öffentlichen Interesse liegt.
Eine Regelung aller unvorhersehbaren Lebensbereiche ist nicht möglich.
Die Pflicht zur Nothilfe kann sich »insbesondere aus dem öffentlichen Recht für die Polizei ergeben, deren Aufgabe gerade die Gefahrenabwehr und Verbrechensverhütung ist. Denn dem Einzelnen und der Allgemeinheit ist nicht damit gedient, dass der Täter für seinen rechtswidrigen Angriff, soweit er eine strafbare Handlung ist, später bestraft wird; es ist vielmehr notwendig und ›geboten‹, dem Angegriffenen sofort gegen die Bedrohung zu helfen, den Angreifer sofort an der weiteren Tatausführung zu hindern« (siehe Leipziger Kommentar zum StGB, § 32 Rdnr. 328).
Ob eine »Gefahr« vorliegt, ist anhand der zum Zeitpunkt der Entscheidung vorhandenen Erkenntnismöglichkeiten zu beurteilen und nicht, wie dies unsere Richter getan haben, aus nachträglicher Sicht. Getroffene Maßnahmen bleiben auch dann rechtmäßig, wenn der befürchtete Schaden zwar nicht eingetreten ist, das
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