Um Mitternacht mit dir im Bett
schlimm wie die Krankenschwestern …” Seine Stimme, die immer schwächer geworden war, erstarb, als er sich auf dem Bett ausstreckte. Jetzt wirkte er in der Tat wie ein erschöpfter Siebzigjähriger. “Vielleicht nehme ich doch eine Tablette. Mir tun nämlich sämtliche Knochen weh. Verdammt, ist es schrecklich, alt zu werden.” Er stöhnte.
Solche Aussagen kannte sie von ihrem Großvater. “Morgen früh geht es Ihnen bestimmt besser.”
Er zog die Stirn kraus. “Ich hasse diese Reden.”
Sie trat an den Nachttisch und goss ihm ein Glas Wasser aus dem Krug ein. Dann schraubte sie das Tablettenröhrchen auf und ließ eine kleine rosa Pille in ihre Handfläche fallen. “Hier bitte.” Sie reichte ihm die Tablette. “Damit Sie gut schlafen.”
Er stützte sich auf einen Ellbogen, schob sich die Pille in den Mund und spülte sie mit Wasser herunter. “Das ist bei Weitem nicht so angenehm wie Bourbon.”
Sie nahm ihm das Glas ab. “Aber fast ebenso wirkungsvoll.”
Sein Blick fiel auf den grün gestreiften Pyjama am Fußende. “Wo zum Teufel kommt das Ding her?”
“Er sieht nagelneu aus.”
“Eher wie ein Albtraum. Der kratzt.” Seamus sank in die Kissen zurück und wies auf eine Kommode. “Gib mir ein altes Flanellnachthemd. In einer der Schubladen muss eins sein.”
In der sechsten und untersten Schublade fand Sarah endlich ein Nachthemd. Als sie es herausnahm, fiel ein Schwarz-Weiß-Foto auf den Boden.
Es war ein Bild ihrer Großmutter.
Sarah hob es auf. Anna Hewitt stand lächelnd vor einem frisch gemalten Schild, auf dem “Agentur Hewitt & Wolff” stand. Sarah wusste, dass ihre Großmutter die Buchhaltung für die Firma geführt hatte, allerdings hieß sie damals noch Anna Pratt.
Warum bewahrte Seamus ein Foto ihrer Großmutter in seiner Kommodenschublade auf? Oder war es nur eine Erinnerung an das gemeinsame Unternehmen mit ihrem Großvater?
Sarah drehte sich um und wollte Seamus fragen, aber es war zu spät.
Er schlief bereits fest.
“Mein Großvater mag dich.”
Sarah, die gerade den dämmrigen Flur entlanglief, blieb erschrocken stehen, als Michael plötzlich aus dem Schatten trat. Hatte er ihr etwa aufgelauert?
Sie holte tief Luft, ihr Herz pochte laut. “Dann hat er aber eine seltsame Art, es zu zeigen.”
“Er ist nur vorsichtig. Er hat mit Frauen schlechte Erfahrungen gemacht.”
“Vielleicht liegt es daran, wie er sie behandelt. Du hast ja gehört, wie er mit seiner Frau beim Dinner umgesprungen ist.”
“Sie haben nicht gerade die glücklichste Beziehung”, gab er zu. “Deshalb glaube ich auch, dass sie ihn loswerden will.”
“Warst du schon immer so paranoid?”
Er trat einen Schritt näher. “Warst du schon immer so schön?”
Die Frage verschlug ihr die Sprache.
In der schwachen Beleuchtung war es unmöglich, seine Miene zu erkennen, doch sie sah das Schimmern, das Verlangen in seinen Augen. Erotische Erinnerungen an die letzte Nacht stiegen in ihr auf. Sie schluckte und widerstand tapfer dem Drang, sich in seine Arme zu werfen.
“Ich muss mich bei dir entschuldigen”, sagte er unvermittelt, und sein warmer Atem strich über ihre Wange.
Sie riss die Augen auf. Das hätte sie zuallerletzt von ihm erwartet.
“Ich habe vergessen, dir Frühstück und Lunch bringen zu lassen”, fuhr er zerknirscht fort. “Ich habe keineswegs die Absicht, dich hier auszuhungern. Du kannst jederzeit in die Küche gehen und dich bedienen. Dasselbe gilt für die Bibliothek und das übrige Haus. Du darfst nur nicht das Grundstück verlassen.”
“Du willst mich also wirklich gefangen halten?”, fragte sie enttäuscht. Sie hatte gehofft, seine Entschuldigung bezöge sich auf einen Sinneswandel. Aber da überschätzte sie Michael Wolff offenbar. Er war nach wie vor unnachgiebig.
“Du stehst in meiner Schuld, Lady”, entgegnete er mit belegter Stimme.
Weshalb? Weil sie seinen Safe aufgebrochen hatte, oder weil sie sich in sein Bett gestohlen hatte? Welches Vergehen wog schwerer für ihn? “Es gefällt mir nicht, deinen Großvater zu täuschen”, sagte sie. “Und seine Frau dazu.”
“Dagegen hattest du kein Problem, mich mit deinen Verführungskünsten zu täuschen.”
Sie schüttelte den Kopf. “Das war etwas anderes. Ich …” Sie ließ den Satz offen. Er würde ihr ohnehin nicht glauben. Als sie sich an ihm vorbeischieben wollte, um in ihr Zimmer zu gehen, ergriff er ihren Arm.
“Was wolltest du sagen, Sarah? Hattest du es darauf angelegt, dass ich dich
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