Umzug ins Glück
Stuhl gewesen, stellte
ich mit leichter Beunruhigung fest – und schlug mit großer Geste seine Serviette auf. »Bitte bedienen Sie sich!«
Rein optisch war das Gericht eine ziemlich farblose Angelegenheit.Kartoffeln, Fisch, dicke Zwiebelringe und eine helle, leicht wässrige Sauce wetteiferten um die maximale Blässe, nur einige
Pfefferkörner und zwei Lorbeerblätter setzten spärliche Kontraste. Entsprechend verhalten gingen wir deshalb auch daran, unsere
Teller zu füllen, und nach den ersten Bissen beneidete ich bereits Ines, die sich mit Todesverachtung ihre Pellkartoffeln
einverleibte.
Romy sezierte die Portion auf ihrem Teller. »Welches sind denn die Schlickflundern?«, fragte sie argwöhnisch.
»Das ist Seelachs«, erläuterte Jan Hörnum. »Der zergeht auf der Zunge.« Romy kostete vorsichtig.
»Ich hol mal etwas Salz«, schlug ich vor, weil der Fisch und die Kartoffeln nach gar nichts schmeckten, während die Zwiebeln
und die von Zitrone dominierte Sauce einen unangenehm säuerlichen Grundgeschmack abgaben. Romy und Klaus griffen dankbar nach
dem Streuer. Es half natürlich nicht wirklich, aber zumindest dem Fisch taten ein paar Körnchen Salz gut.
Jan Hörnum dagegen packte sich eine ordentliche Portion auf den Teller und aß mit sichtlichem Wohlbehagen. »Das war immer
Svantjes Lieblingsgericht«, erklärte er uns.
Meins würde es nicht werden, und meinen Apothekerfreunden ging es ähnlich. Immer wieder griffen sie nach dem eigentlich für
Ines gedachten Rohkostteller. Es war erstaunlich, wie willkommen eine in Quark getunkte Kohlrabistange oder ein Stück Tomate
sein kann, bevor man wieder eine nur halb durchgegarte Zwiebel verspeisen muss. Und noch erstaunlicher war, wie viele Erklärungen
einem einfallen, wenn man zum Nachnehmen aufgefordert wird und rasch einen guten Grund braucht, um ablehnen zu können.
»Wir essen meistens am Abend nicht so viel«, behaupteteRomy, unter völliger Missachtung der Tatsache, dass wir uns gestern noch relativ spät im Waldstübchen einen riesigen Schnitzelteller
reingezogen hatten.
»Und ich vertrage Zwiebeln nicht so gut«, ergänzte Klaus, der stattdessen an einem Paprikastreifen kaute.
Ich schob unter dem Vorwand, da seien einige Gräten drin, einen Teil meiner Portion zur Seite. Ines beobachtete es mit schadenfrohem
Grinsen. »Tja, das ist der Vorteil von pflanzlicher Ernährung«, sagte sie. »Keine Gräten, keine Knochen, keine ungesunden
Fette.«
»Ich sollte dich mal mit meiner Kollegin Lea bekannt machen,« sagte ich, um vom Thema Pannfisch abzulenken. »Die ist nämlich
seit neustem auch Vegetarierin.«
»Wenn das alles ist, was sie mit mir gemeinsam hat, dann kann ich dir einfach ein paar Internetseiten aufschreiben«, versetzte
Ines spitz. »Da kann sie sich alles anlesen, was sie wissen muss.«
Ich war das schon gewöhnt. Deshalb machte es mir nicht so viel aus. »Nein, ich glaube, sie interessiert sich auch für fernöstliche
Philosophie«, sagte ich. Ines legte großen Wert darauf, dass Buddhismus keine Religion ist.
»Dann kann sie ja mal mit ins Spirituelle Zentrum kommen«, sagte Ines etwas versöhnlicher und sicherte sich rasch die letzten
Gurkenscheiben, auf die auch Klaus schon angesetzt hatte. Bedauernd ließ er sich in seinen Stuhl zurückfallen und griff nach
seinem Weinglas.
Jan Hörnum nahm sich noch mal einen ordentlichen Nachschlag. »Tja, das ist hier wohl nicht so eine Fischgegend«, stellte er
fest. »Ich hatte sonst schon überlegt, ob ich nicht morgen eine Aalsuppe koche. So richtig klassisch mit Backobst und Pökelfleisch
und Mehlklößen.«
»Wir haben morgen schon was vor«, sagte Romy hastig.
Auch Ines sah ihn etwas angewidert an. »Sind Sie eigentlich zum Kochen hier? Oder wieso wohnen Sie bei Mia?«
»Sie war so freundlich, mir Asyl zu gewähren«, sagte er würdevoll. So konnte man es auch sehen. Ich hätte gesagt, er habe
sich seine Übernachtung unter Vorspiegelung falscher Tatsachen erschlichen, aber das hatten wir ja gestern schon diskutiert.
Wirklich überrascht war ich allerdings, als er fortfuhr: »Ich bin hier, weil ich für eine Rolle bei den Karl-May-Spielen auf
der Freilichtbühne in Hammerscheid im Gespräch bin. Mein Agent meint, ich wäre wie geschaffen für die Rolle.«
Die Freilichtbühne hatten wir schon aufgesucht, als Magnus noch klein war. »Was spielen sie denn dieses Jahr?«, fragte ich
mit einem Blick auf die Fischreste auf meinem Teller
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