Umzug ins Glück
gegen Schwule, wirklich nicht. Die, die ich persönlich kenne, gehören auch nicht zu der Handtäschchen-Fraktion
aus den gängigen Klischees. Wenn Nick wirklich schwul war, dann störte mich daran eher die Tatsache, dass ich es nicht gewusst
hatte. Ob manche seiner Reaktionen daher zu erklären waren? Ob Tante Paula das wusste?
Ich war gerade ein wenig mit diesen Gedanken weggedöst, als jemand auf der Liege neben mir Platz nahm. Eine Männerstimme sagte:
»Karin?«
Ich sah nach links und sah einen südländisch aussehenden Mann in einem schreiend bunten Bademantel, der mich interessiert
ansah.
»Ich glaube, Sie verwechseln mich«, sagte ich.
»Tja, Sie sind nicht Karin«, stellte er fest. »Aber wer sind Sie dann?«
Eine Sekunde lang fühlte ich mich von den Farben seines Bademantels wie hypnotisiert. Aber dann dachte ich daran, dass die
Sauna auch ein Ort der Begegnung war. Jedenfalls hatte das in dem Prospekt gestanden, den Ines mir im Vorfeld gezeigt hatte.
»Ich heiße Mia«, sagte ich.
»Ich heiße Gino«, erklärte er. »Sind Sie zum ersten Mal hier?«
»Ja«, sagte ich und versuchte herauszufinden, ob der Bademantel ein erkennbares Muster hatte oder ob der Designer wie ein
Happening-Künstler einfach ein paar Eimer Farbe daraufgeschleudert hatte.
»Ich komme jeden Samstag her«, sagte Gino. »Deshalb treffe ich eine Menge Bekannte. Kennen Sie auch Leute hier?«
»Ich komme nicht aus der Gegend. Ich wohne in Bredenscheid.«
»Das ist ja ein ganzes Stück entfernt!«, stellte er fest. »Sind Sie allein hier?«
»Nein, ich bin mit meiner Freundin gekommen.«
»Ach, wie nett«, meinte Gino. Er hatte offensichtlich ein großes Kommunikationsbedürfnis. »Und, mögen Sie diese Art zu entspannen?«
Wenn ich weiter diesen Bademantel ansehen musste, war jede Entspannung unmöglich. Der wilde Farbmix machte regelrecht aggressiv.
Vielleicht würde er sich jazurückziehen, wenn ich ihm klarmachte, dass ich an einem Gespräch nicht interessiert war? »Es ist sehr angenehm, wenn man
in Ruhe über etwas nachdenken will.«
Gino kapierte es nicht. »Und worüber denken Sie nach?«
»Über Homosexualität. Wie denken Sie denn über Schwule und Lesben?«
Das ließ ihn endlich zurückzucken. »Oh, dann will ich Sie mal nicht stören«, sagte er. Kurze Zeit später verließ er seine
Liege und verschwand.
Ich blieb noch eine Weile liegen und grübelte über Nick nach. Ich rekapitulierte unsere letzten Begegnungen. Was wusste ich
über ihn? Dass er Tante Paulas Arzt kannte, der aber einen Ehering trug. Nun ja, das hieß heutzutage auch nichts mehr. Dass
er freitagabends Badminton spielte – mit anderen Kumpels. Wenig aufschlussreich. Die Wahl der Sportart sagt noch nichts über
die sexuellen Vorlieben aus.
Ich musste zugeben, dass ich Nick zwar schon ewig kannte, aber nicht sehr gut. In erster Linie hatte ich meine Stacheln aufgestellt,
sobald er sich näherte, weil ich ganz selbstverständlich davon ausging, dass er mich noch immer so ärgern wollte wie früher.
Aber vielleicht steckte hinter der Fassade des coolen Typen, des erfolgreichen Architekten, des disziplinierten Ästheten ein
sehr verletzlicher Mensch, der mit seiner geschlechtlichen Orientierung kämpfte?
Ich erhob mich seufzend von meiner Ruheliege und ging Ines suchen, die inzwischen aber die Sauna verlassen hatte. Eine Weile
suchten wir uns gegenseitig, ich noch intensiver als sie, weil ich spätestens zum Ende des Besuches darauf angewiesen war,
dass sie mir ihren Kamm, ihr Shampoo und wenn möglich auch ihre Bodylotion lieh.
Schließlich fand ich sie und heftete mich wie eine Klette an sie, um auch wirklich in den Genuss dieser Dinge zu kommen. Das
nervte sie etwas, und ich glaube, noch mehr nervte sie meine Weigerung, hinterher noch in das Restaurant zu gehen. Sie versuchte
mich sogar mit der Aussicht auf einen Salat mit Putenbrust zu locken, den sie mir ansonsten natürlich ausgeredet hätte, aber
ich blieb standhaft. Ich wollte nur noch nach Hause, denn ohne mein Make-up, mein Haarspray und etwas Frisches zum Anziehen
fühlte ich mich einfach nicht vorzeigbar.
Schließlich gab Ines grummelnd nach, und wir stiegen ins Auto. »Ich hab einen tierischen Hunger«, klagte sie.
»Ich könnte dir eine Dose Pfirsiche anbieten«, schlug ich vor. Den Erbseneintopf erwähnte ich nicht, weil der Räucherspeck
enthielt.
»Nicht in meinem Auto«, sagte sie streng. Aber ich hätte sowieso keinen Dosenöffner
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