Umzug ins Glück
gehabt. Ich hatte den Rucksack ja nicht
für ein Picknick gepackt.
Eine Weile fuhren wir schweigend. »Aber die Sauna ist schön«, sagte ich schließlich. Ich kann es nicht gut aushalten, wenn
Ines schweigt, um mir klarzumachen, dass sie unzufrieden ist.
»Viel zu viele Leute«, befand sie. »Im Ruheraum hat mich jemand angequatscht.«
»Mich auch«, sagte ich.
Aber das war erst mal ihre Geschichte. »Der hat mich mit einer anderen Frau verwechselt«, fuhr sie fort. »Das war vielleicht
ein Vogel! So ein südländischer Gockel, weißt du.«
Das klang ja bekannt. »Hatte der so einen knallbunten Bademantel an und hieß Gino?«, fragte ich.
Überrascht guckte sie zu mir herüber. »Einen Namen hat er nicht genannt«, sagte sie. »Aber der Bademantel sah aus wie ein
Unfall in einer Lackfabrik.«
Ich fand den Vergleich sehr passend. »Das war Gino«, sagte ich vergnügt. »Mich hat er auch verwechselt, stell dir das vor.
Scheint seine Masche zu sein.«
Ines konnte wieder schmunzeln. »Karin?«
»Genau.« Ich schüttelte nachträglich den Kopf über so viel Dreistigkeit. »Dann hat er mich gefragt, worüber ich nachdenke,
und ich habe ihm geantwortet: über Homosexualität. Da ist er gegangen.«
»Nein!«, brüllte Ines. Ich sah erschrocken zu ihr hinüber und erkannte, dass sie lachte. Sie lachte so sehr, dass sie kaum
sprechen konnte. Ich machte mir schon Sorgen, ob sie dabei noch genug auf die Straße achtete. »Das gibt’s ja nicht!«, grölte
sie. »Der ging mir so auf den Sender, dass ich nur überlegt hab, wie ich den wieder loswerden kann. Und deshalb hab ich ihm
erzählt, ich wäre mit meiner Lebensgefährtin hier.«
»Was hat er darauf gesagt?«
»Tschüs.«
Ich fiel in das Gelächter ein. Vielleicht war es die Müdigkeit nach der Sauna, die uns so albern sein ließ, aber wir lachten
den ganzen Weg nach Bredenscheid. Die Stimmung im Auto war gerettet. Weil irgendwo in der Region um Romfeld ein Mann darüber
nachgrübelte, warum sich plötzlich alle Frauen mit dem Schwulsein befassten.
»Geschieht ihm recht«, befand Ines. »So eine blöde Anmache.« Sie grinste spitzbübisch. »Schade, dass wir seine Nummer nicht
haben.«
»Wieso? Willst du ihn anrufen?«
»Ich würde mich als Karin melden«, sagte sie. »Und dann würde ich ihn fragen, ob heute ein paar attraktive Frauen in der Sauna
waren.«
9
Jan Hörnums Lesung war gut besucht. Vermutlich war es auch für die besser gestellten Senioren ein Highlight, wenn ein Promi
kam, selbst wenn es ein abgetakelter Serienheld war. Sogar eine junge Frau von der Presse war zugegen.
Nick hatte Tante Paula abgeholt, die sich schon sehr besitzergreifend umsah und geschmeichelt war, dass sie nicht nur durch
den Leiter des Hauses persönlich begrüßt, sondern dazu noch von Jan Hörnum höchstselbst zu ihrem Platz geschoben wurde.
»Ich glaube, dadurch will sie schon im Vorfeld ihr Image aufbauen«, raunte Nick mir grinsend zu. Als »jün gere Leute«, die noch gut hören konnten, hatte man uns in die letzte Reihe verfrachtet. Natürlich wertete auch das Tante Paulas
Ansehen auf, dass sie direkt zwei Verwandte aufweisen konnte, die sich deutlich sichtbar um sie kümmerten.
Dann legte der Star des Nachmittags los. Er hatte sich heute in das Outfit ›Künstler‹ geworfen: schwarzer Anzug, weißer Rollkragenpullover,
burgunderroter Schal. »Glaubst du nicht, dass dir so ein Schal auch stehen würde?«, fragte ich Nick gut gelaunt. Er trug ein
gestreiftes Hemd und ein Cordsakko zu seinen Jeans.
»Bestimmt«, sagte er. »Und wenn es kalt ist, könnte ich ihn um meine Glatze wickeln. Das hält sicher warm.«
»Du hast doch keine Glatze!«, widersprach ich mit einem Blick auf seine kurzen blonden Haare.
»Noch nicht«, sagte er. Dann mussten wir still sein, denn Jan Hörnum begann.
Die Kostprobe vom Freitag hatte nicht zu viel versprochen. Er war in der Lage, die Stimmung der Gedichte auf eine Weise zu
übertragen, die fast Gänsehaut verursachte. Er las sehnsüchtige Liebesgedichte, spannende Balladen, melancholische Herbstgedichte,
plattdeutsche Stücke, die ihm direkt aus dem Herzen zu kommen schienen. Man konnte völlig vergessen, dass dies der Knallkopf
war, der einem ins Auto fuhr und sich dann nicht um die Schadensregulierung kümmerte, der ekelhafte Sachen kochte und sich
vor dem Spülen drückte oder der glaubte, die ganze Welt würde sich hauptsächlich nach seinem Autogramm sehnen. Überraschend
Weitere Kostenlose Bücher