Umzug ins Glück
Blattläuse melken«, brummte er und stieg die Treppe hinauf. »Das will ich auch nicht.«
Sieh mal an, das wusste ich jedenfalls noch nicht. Und ich war auch nicht sicher, ob ich mit dieser Information jemals etwas
Nützliches anfangen könnte.
Obwohl es erst neun Uhr war, kamen bereits die ersten Neugierigen vorbei, zum Teil mit Brötchentüten und der Samstagszeitung
unter dem Arm, um erst mal zu sichten, ob sich ein ausgiebiger Besuch nach dem Frühstück lohnen würde. Ich kam gerade rechtzeitig,
um Tante Paulasgrüne Handtasche von der Lehne des Rollstuhls zu retten, als schon ein älterer Mann davorstand und das Gerät inspizierte.
»Was soll der denn kosten?«
»Der ist nicht zu verkaufen«, erklärte ich. »Den brauchen wir noch.«
»Schade«, sagte er und trottete davon.
Mit Hilfe ihrer Brille trennte Paula ihren Schmuck in drei Partien: den guten, den sie behalten würde, um im Silvretta-Speisesaal
nicht unangenehm aufzufallen, den anständigen, den ich nachher mitnehmen sollte, weil ich ihn sowieso erben würde, und den
Trödel, der auch noch verkauft werden sollte. Ich musste mir schon fast Gewalt antun, um die bunten Ketten nicht auch einzupacken,
weil sie sich bestimmt gut eignen würden, um etwas Neues daraus zu basteln.
Dann wandte sie sich ihren übrig gebliebenen Kleidern zu. Stück für Stück musste ich alles aus dem Schrank holen und ihr zeigen.
Einiges davon war noch Silvrettafähig und wurde in einen Koffer gepackt, das restliche musste ich wieder zurückhängen. Ich
glaube, sie brachte es einfach nicht über sich, ihre Garderobe heute auch zu verhökern. Am Ende traf sie noch eine Putzfrau
mit dem Basler-Cardigan wieder, der ihr leider zu eng geworden war.
Der zunehmende Geräuschpegel von unten verriet, dass inzwischen mehr Leute da waren. »Du musst da sicher jetzt runtergehen«,
meinte Tante Paula. »Schick mir einfach Nick rauf, der kann mir auch helfen.«
Das fand ich ungerecht. Wieso durfte Nick sich hier oben mit Paula zurückziehen, und ich musste mich dem Mob stellen? Und
dass die Menge inzwischen Mobstärke hatte, war nicht zu übersehen. Meine so schön zusammengestellten Sachen waren schon arg
zerpflückt. Die Fahrräder und Nicks altes Kettcar waren offensichtlichbereits weg, und als ich aus der Haustür kam, musste ich sofort den nächsten Interessenten davon überzeugen, dass der Rollstuhl
nicht zu verkaufen war.
Jan Hörnum war in seinem Element. Er kassierte, schrieb Autogramme, sammelte Spenden für den Rettungskreuzer, unterhielt sich
charmant mit älteren Damen und fachsimpelte mit den Männern. Währenddessen war in Paulas Haus und Garten die Hölle los. Ich
hätte nie gedacht, dass ich mal erleben würde, wie sich zwei Frauen um eine Butterdose von Villeroy und Boch stritten (die
eine argumentierte damit, dass sie die zuerst gesehen hätte, die andere versuchte es eher auf die Mitleidstour, weil sie das
Geschirr sammelte und es jedes Jahr teurer wurde). Ich wurde Zeuge, wie ein Kind drei der zierlichen Obstmesser mit den Perlmuttgriffen
in den Rasen bohrte und seine Mutter zusah, aber nichts dagegen unternahm. Ein besonderer Moment war auch, wie jemand eine
der von Tante Paula in der Frühe noch bejubelten Keksdosen öffnete und tatsächlich ein paar antike Weihnachtsplätzchen zum
Vorschein kamen. Beeindruckend war ebenfalls, dass er die Dose anschließend kaufte. Die Kekse fand ich später im Rosenbeet,
aber ich konnte es ihm nicht wirklich übel nehmen.
Gegen halb zwölf fragte der erste Besucher, wo man denn hier in der Gegend was essen könnte, und zwar mit einem solchen Vorwurf
in der Stimme, dass ich mich schon beinahe dafür entschuldigen wollte, dass wir keine Frittenbude aufgestellt hatten. Ich
brauchte mehrere Anläufe, bis ich einmal zur Toilette gehen konnte, und als ich dann zurückkam, hing ein Zettel mit dem Hinweis
»verkauft« an Tante Paulas Rollstuhl.
Wütend stürzte ich mich auf Jan Hörnum und zischte ihn an: »Sie haben tatsächlich den Rollstuhl verkauft? Was haben Sie sich
denn dabei …«
Er schüttelte ungerührt den Kopf. »Nein, der ist nicht verkauft. Ich hab das Schild nur drangemacht, damit die Leute endlich
Ruhe geben.«
Hätten wir doch nur ein Dutzend gebrauchte Rollstühle gehabt, wir hätten das Geschäft unseres Lebens machen können.
Gegen eins erschien auch Frau Grützbauer zum Helfen. Immerhin brachte sie eine mit Alufolie verhüllte Auflaufform mit und
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