Umzug ins Glück
merkwürdigen Stimme. Ich fragte mich besorgt,ob er wohl was getrunken hatte. »Sie wissen gar nicht, wie lange ich schon auf eine solche Gelegenheit gewartet habe.«
»Was für eine Gelegenheit? Einen gebrauchten Waschbeutel zu kaufen?«
Horst Adlers Augen blitzten verächtlich. »Eine genetische Spur zu Rudolf Behrendt zu entdecken!«
»Kannten Sie Onkel Rudolf?«, fragte ich in dem verzweifelten Versuch, einen Sinn in dem Ganzen zu erkennen.
»Er ist mein Vater!«, schleuderte er mir entgegen.
Ich machte erschrocken einen Schritt nach hinten. Das war eine so bodenlose Behauptung, dass ich gar nichts sagen konnte.
Aber jetzt nahm Horst Adler verbal Fahrt auf. »Meine Mutter war bei ihm als Sekretärin angestellt«, berichtete er. »Und dann
hatten sie eine Affäre, und ich bin das Ergebnis. Er hat sie dann entlassen und sich niemals zu mir bekannt. Aber jetzt habe
ich eine Möglichkeit, es zu beweisen!« Er tippte heftig auf seine Tüte, die er inzwischen mit beiden Händen an sich drückte.
Ich starrte ihn verständnislos an. »Weil Sie seinen Kulturbeutel haben?«
»Weil ich über genetisches Material verfüge!«, sagte er triumphierend. »Ich werde die Haare aus der Bürste in einem Labor
mit meinen vergleichen lassen. Das ist heutzutage kein Problem. Und dann werden wir ja sehen!«
Plötzlich wurde mir klar, dass ich einen durchgeknallten Psychopathen vor mir hatte. Nichtsdestoweniger wäre er, wenn seine
Behauptung stimmte, in der Lage, in unserer Familie ganz schön viel Chaos anzurichten. Ich versuchte nachzurechnen. Horst
war, wie er neulich erzählt hatte, fünfunddreißig. Wenn er recht hatte, dann hätte Onkel Rudolf Tante Paula vier Jahre nachder Hochzeit betrogen. War das vorstellbar? Ich wäre damals etwa zehn gewesen, da kriegte man bestimmt noch nicht so mit,
wenn bei Verwandten der Haussegen schiefhing. Oder vielleicht hatte Paula nie etwas davon geahnt? Dann wäre es eine Katastrophe,
wenn sie jetzt davon erführe.
Ich versuchte es auf die vernünftige Tour. »Herr Adler«, sagte ich beruhigend. »Wollen Sie denn wirklich nach so langer Zeit
so viel Staub aufwirbeln? Sie sind doch inzwischen ein erwachsener Mann …«
»Seit ich denken kann, träume ich von diesem Moment«, erklärte er mir. »Zu wissen, dass Rudolf Behrendt in der gleichen Stadt
wohnt und seinen eigenen Sohn verleugnet, hat mich meine ganze Jugend über verfolgt. Vielleicht bin ich sogar deswegen zum
Nachlassermittler geworden und hierher zurückgekehrt, um wenigstens anderen Menschen Gerechtigkeit zu verschaffen, wenn sie
mir schon versagt bleibt. Ich habe alles über diesen Mann recherchiert. Als er dann vor einigen Jahren starb, dachte ich schon,
ich hätte keine Chance mehr, es nachzuweisen. Und dann liegt plötzlich diese Kleinanzeige da. Eine Fügung des Schicksals.«
Ein Alleingang von Jan Hörnum, dachte ich ärgerlich. Aber das hatte er natürlich auch nicht absehen können.
Ich versuchte es noch einmal. »Herr Adler, meine Tante ist alt und krank. Wollen Sie ihr das antun? Kommen Sie, ich gebe Ihnen
das Geld für die Sachen zurück, und wir vergessen das Ganze.«
»Auf keinen Fall!«, rief er aus und klammerte sich an seine Tüte. »Was mir angetan worden ist, danach fragt auch keiner. Ich
will Gerechtigkeit. Und Sie werden mich nicht daran hindern.«
Offensichtlich nicht. Hilflos sah ich zu, wie er sich mit seiner Trophäe durch die Menschengruppe wand,die gerade das Grundstück betrat. Was sollte ich machen? Auf ihn zeigen und schreien: ›Haltet ihn! Er hat meine Bürste!‹ oder
so was? Er hatte ordnungsgemäß für die Sachen bezahlt, und selbst wenn er vor Gericht (schreckliche Vorstellung, dass er Tante
Paula und Nick in einer Erbstreitigkeit vor Gericht zerren könnte) mit der Genanalyse nicht durchkam, wäre doch ein Schaden
angerichtet, der nicht mehr korrigierbar war.
Nick, durchzuckte es mich. Ich musste ihn unbedingt darüber informieren. Und Tante Paula sollte es möglichst nicht erfahren.
Noch nicht.
Ich fand Nick dort, wo er am weitesten vom Betrieb entfernt war. Er hatte sich hinters Haus verzogen und war mit ein paar
gefährlich aussehenden Geräten dabei, die Nadelgehölze zu reduzieren, die auf der Grenze zum Nachbargrundstück standen.
»Guck mal«, sagte er fröhlich. »Ich betätige mich als Kiefern-Orthopäde!«
»Nick, ich muss dir was erzählen«, sagte ich bedrückt.
Er zog mich auf die Holzbank, die in der Nähe stand. Nicht mehr
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