Umzug ins Glück
in einer Kleidersammelstelle der Kirchengemeinde mitgearbeitet.
Zweimal im Monat war es meine Aufgabe, die eingehenden Spenden auszupacken und zu sortieren: das schlimmste Zeug für den Schredder,
die mittelguten Sachen für Bethel und die guten Sachen für die Ausgabestelle. Ich lernte sehr schnell, warum manche Frauen
sich dafür Gummihandschuhe mitbrachten, denn man ahnt gar nicht, was die Leute für noch verwendbar halten. Andererseits gab
es manchmal Tüten mit Escada-Kostümen und Betty-Barclay-Kleidern, denen man nur anhand des Reinigungszettelchens ansehen konnte,
dass sie mehr als einmal getragen waren. Da fragte ich mich oft, ob die in der Ausgabe überhaupt wussten, was für Werte sie
da herumhängen hatten. Und als ich mal selbst dort aushelfen musste, stellte ich fest, dass diese Sachen noch nicht mal gut
liefen, denn Menschen, die vom Sozialamt hergeschickt wurden, haben selten Bedarf an Cocktailkleidern, auch wenn sie nur ein
paar Euro kosten.
Seitdem sortiere ich Kleiderspenden anders. Ich packe Tüten für den Schredder, denn auch damit lässt sich für karitative Zwecke
Geld verdienen. Eine zweite Variante, schon kritisch ausgewählt, ist für die Ausgabestelle (be ziehungsweise inzwischen wird viel davon auch direkt nach Osteuropa versendet). Das sind warme Jacken und Mäntel, robuste Schuhe, Pullover
und neutrale Jeans. Und die Designerstücke, die Schuhe mit hohen Absätzen, die Lederhose in Größe 36, die ungewöhnlich geschnittenen
Jacken oder extrem breiten Gürtel, all das wandert in eine Kiste, die ich bei einem Secondhandladenvorbeibringe, der auch Geld für ein Sozialprojekt erwirtschaftet – aber mit einem anderen Kundenkreis. Unerlässliches Accessoire
für diese Tätigkeit ist ein dicker schwarzer Edding, um die Gebinde möglichst nachvollziehbar zu beschriften.
Tante Paulas Sachen waren hauptsächlich aus der dritten Kategorie (allerdings nicht in Größe 36, die hatte sie vermutlich
seit ihrem zwölften Lebensjahr hinter sich gelassen). Nachdem sie gestern mit Entschiedenheit alles ausgewählt hatte, was
mit in die Ruheresidenz Silvretta sollte, konnte ich den Rest nur noch wegpacken. Dazu kamen die Herrenklamotten, die Onkel
Rudolf überlebt hatten, hauptsächlich Fälle für Säcke der Sorte Zwei, weil er ein Faible für Tweedjacken, Schurwollpullover
und Kniebundhosen aus Breitcord gehabt hatte. (Ein Wunder, wie er mit solchen Klamotten bei den Frauen gelandet war.) Die
paar Teile, die in die Schreddertüte gehört hätten, taugten immerhin noch als Putzlumpen für unsere kommenden Renovierungsmaßnahmen.
Als nächstes kamen die von Paula zurückgelassenen Handtaschen und Schuhe an die Reihe. Davon hatte zwar einiges, aber längst
nicht alles gestern den Besitzer gewechselt, und weil gerade Handtaschen nicht konfektionsgrößenabhängig sind, bedeuten sie
immer eine große Gefahr für mich. Aber ich entwickelte schnell eine praktikable Vorgehensweise. Zuerst verstaute ich die zu
hässlichen, zu unpraktischen, farblich zu aggressiven Taschen in einem Karton und ließ die anderen (immerhin noch mindestens
zwanzig) offen liegen. Dann packte ich einen Karton mit Schuhen, denn das war ungefährlich – weil Paula mindestens eine Nummer
größer trägt als ich, würden mir auch die schönsten Pumps unbarmherzig um die Ferse schlappen, und die vernünftigen Schnürschuhe
wollte ich gar nicht haben.
Ich trug den Karton in das leere Arbeitszimmer, wo ich die ganzen Sachen sammelte, und kehrte zu meiner Handtaschenausstellung
zurück. Dieses Mal wurde ich schon kritischer und reduzierte sie auf sieben, die so schön waren, dass ich sie nicht einfach
gehen lassen konnte. (Hatte Onkel Rudolf vielleicht die Handtaschen seiner Frau verschenkt? Da wäre ich auch schwach geworden …) Daraufhin packte ich eine weitere Kiste mit Schuhen und brachte sie weg. Und dann kam das Schwierigste: Ich durfte mir
nach meiner eigenen Vorgabe eine einzige Handtasche zum Behalten aussuchen, und die musste offen in Nicks Auto liegen können.
Nicht dass ich glaubte, er würde mir ausreden, sie mitzunehmen. Aber ich hielt es für einen guten Filtermechanismus, wenn
jemand, der mir so wichtig war wie er, diese Auswahl mitbekam. Nach kurzem Zögern entschied ich mich für einen großen blauen
Rucksack und ließ die anderen Taschen verschwinden, bevor ich es mir noch mal überlegen konnte.
Nun waren die Kleiderschränke leer. Jetzt konnte ich entweder
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