Unbescholten: Thriller (German Edition)
schwieg.
Hector sprach leise auf ihn ein: »Carlos, du verrätst mich und lockst mich in eine Falle. Mit wem hast du über mich geredet?«
Carlos bebte am ganzen Körper. »Mit niemandem, Hector, ich schwöre es dir … Er hat mir Geld gegeben.«
»Wer? Gentz?«
Carlos nickte, ohne Hector anzusehen, und wischte sich mit dem Ärmel den Rotz aus dem Gesicht.
»Wie viel?«, fragte Hector.
»Einhunderttausend.«
»Einhunderttausend? Kronen?«
Carlos blickte zu Boden.
»Die hättest du auch von mir bekommen! Du bist so ein verdammter Idiot, Carlos!«
»Ich hatte Angst, der war so scheißkalt. Es ging mir natürlich nicht um Geld … Ich hatte keine Wahl, er hat die Hunderttausend einfach in einer Plastiktüte bei mir liegen gelassen!«
Hector und Aron sahen Carlos fragend an.
»Warum hast du uns nicht gewarnt?«
Carlos antwortete nicht.
Hector lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Carlos?«
»Ich weiß nicht«, murmelte er.
Hector überlegte. »Wir machen weiter, als wäre nichts geschehen«, entschied er dann. »Wenn du mir noch mehr zu sagen hast, dann bitte jetzt.«.
Carlos schüttelte den Kopf.
Hector fragte sich, ob er zu nachsichtig war und er das nicht eines Tages bereuen würde. Er stand auf und ging hinaus. Aron folgte ihm.
»Danke«, sagte Carlos heiser.
Hector sah sich nicht nach ihm um.
Aron fuhr Hector durch das nächtliche Stockholm nach Hause. Hector sah aus dem Fenster. Sie waren auf der Hamngatan. Es dämmerte bereits. Hector versuchte, klar zu denken. »Dieser Carlos«, seufzte er.
Aron parkte den Wagen am Skeppsbrokajen.
»Ich werde jetzt was trinken, willst du mir Gesellschaft leisten?«, fragte Hector ihn.
Aron schüttelte den Kopf. »Nein, aber ich komme noch mit bis zur Tür.«
Sie gingen die Brunnsgränd entlang und bogen nach rechts auf die Österlånggatan ab. Aus einer Wohnung über ihnen drangen Musik und Gelächter.
»Hector«, sagte Aron leise.
»Ja.«
»Die Krankenschwester.«
Sie gingen ein paar Schritte.
»Was ist mit ihr?«
Aron warf ihm einen kurzen Blick zu. Ach komm, tu nicht so, hätte er beinahe gesagt.
»Alles in Ordnung, sie ist keine Gefahr«, sagte Hector.
»Woher weißt du das?«
Hector antwortete nicht.
»Sie ist intelligent«, sagte Aron.
»Ja, das stimmt.«
Aron suchte nach Worten. »Sie ist eine Frau mit eigenen Ansichten und eigenen Moralvorstellungen. Was sie heute Abend gesehen und erlebt hat, wird sie ganz schön aufgewühlt haben. Wenn sie zur Ruhe kommt, wird sie anfangen, sich Fragen zu stellen. Sie wird Richtig gegen Falsch abwägen und Antworten finden. Und dann wird sie handeln, ohne nachzudenken.«
Hector ging weiter, er hatte keine Lust auf dieses Thema.
Sie erreichten den Brända Tomten und blieben auf dem kleinen Platz stehen. Hector sah Aron an. »Du siehst ziemlich mitgenommen aus.«
»Du hast dich dagegen gut gehalten.« Arons Blick fiel auf Hectors schmutzige Kleidung und auf das Bein mit dem gesprungenen Gips. »Aber darum musst du dich kümmern.«
Hector klopfte Aron auf die Schulter und ging zu seinem Treppenaufgang.
Aron wartete unten auf der Straße, bis er sah, dass in der Wohnung im dritten Stock das Licht anging. Dann lief er den gleichen Weg zurück, den sie gekommen waren.
––––––––
Sophie las die Notiz im Stockholm-Teil der Morgenzeitung. Es war eine dieser Kurznachrichten ganz unten, zwischen Werbung und Annoncen.
In der Nacht von Samstag auf Sonntag wurde in der Notaufnahme des Karolinska-Krankenhauses ein Mann mit einer Schussverletzung eingeliefert. Er wurde noch in derselben Nacht operiert, sein Zustand wird als stabil bezeichnet. Bisher konnte der etwa Vierzigjährige noch nicht von der Polizei vernommen werden. Seine zwei Begleiter sind unerkannt entkommen.
Sophie entspannte sich: Der Mann lebte.
Albert kam die Treppe herunter, und sie blätterte rasch die Seite um.
»Guten Morgen.«
»Guten Morgen«, erwiderte sie.
»Du bist gestern spät zurückgekommen, oder?«
Sie nickte. Er streckte sich nach der Müslidose im Schrank über dem Herd.
»War es denn nett?«
»Ja, war ganz nett«, murmelte sie und versteckte sich hinter ihrer Zeitung. Den Vormittag verbrachte Sophie im Garten. Sie zupfte Unkraut und beschnitt die Rosen, ein paar Leute kamen vorbei und grüßten. Alles war, wie es sein sollte, aber sie konnte die Idylle nicht genießen. Als sie einsah, dass sie sich ausruhen musste, ließ sie die Heckenschere sinken, setzte sich in einen Liegestuhl und ließ die
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