Und dann der Himmel
nur einen Tag gab, an dem nicht in irgendeiner Ecke des Hauses gezimmert, geklopft oder gebohrt wurde. Der Dachdeckermeister ist mein Patenonkel und eine meiner ersten Erinnerungen besteht darin, wie ich im gerade entkernten Wohnzimmer sitze und im Baustaub Kringel auf die Erde male. Andere Kinder hatten Buntstifte und Papier. Immerhin, als ich auszog, war der Turm fertig und der Weinberg warf einen trockenen Weißherbst mit einem leicht erdigen Geschmack und ordentliche Gewinne ab.
Die Ehe meiner Eltern glich wie so viele langjährige Beziehungen einer Bergbesteigung ohne Sicherungsleinen. Mal gab es rasante Abstürze, mal mühevolle Aufstiege, aber nur selten gab es Momente, in denen die beiden Atem holten und die Aussicht genossen. Dies lag und liegt wahrscheinlich an den doch sehr unterschiedlichen Charakteren meiner Eltern. Beide wurden in ihrer Jugend geprägt vom Aufbegehren gegen die konservativen, festgefahrenen Werte der Wirtschaftswunderzeit und halfen in den sechziger Jahren während der Anfänge der Studentenrevolte, diese Werte zu Fall zu bringen. Sie ließen sich die Haare wachsen, bauten auf dem Balkon ihrer Studenten-WG heimlich Cannabis-Pflanzen an, lebten in wilder Ehe und protestierten gegen das, was gerade anlag. Vietnamkrieg, große Koalition, Springer-Presse, meine Eltern waren gegen alles. Meine Mutter brüstet sich noch heute damit, in einer Frankfurter Studentenkneipe mit Joschka Fischer über die Ablösung der kapitalistischen Weltordnung durch eine Art basisdemokratischen Sozialismus diskutiert zu haben. Sie beendet ihre Erinnerungen immer mit den Worten: „Damals war Joschka noch nicht so fett.“
Als die Auseinandersetzungen der Studenten und des Staates eskalierten und gewalttätiger wurden, entdeckten meine Eltern, dass sie schwanger waren, und beschlossen einen frühzeitigen Ausstieg aus der Revolte. Sie wollten ihr Kind nicht zwischen Tränengas, Gummiknüppeln und ewig zugedröhnten Freizeitrevoluzzern großziehen. Gerade mein Vater hatte genug vom Demonstrieren und Protestieren, seitdem er während einer tätlichen Auseinandersetzung mit der Polizei einen schlecht gezielten Pflasterstein seiner eigenen maoistisch-leninistisch orientierten Kampfzelle, Sektion Deutschland, an den Kopf geworfen bekommen hatte und mit partieller Amnesie drei Tage im Krankenhaus verbringen musste. Kurz darauf stießen die beiden während eines Zelturlaubs auf Himmelstadt und wurden bald zu geläuterten Mitgliedern der dörflichen Gesellschaft, wenn auch mit mitunter sehr suspekten linksliberalen Tendenzen in einer katholisch und konservativ geprägten Gemeinde.
Dann jedoch begannen ihre zwischenmenschlichen Probleme. Zwar konnten sie sich beide Anfang der achtziger Jahre noch für eine Mitarbeit bei den Grünen begeistern und saßen eine Rotationsperiode lang sogar im Kreisparlament, aber während auf meinen Vater die Bodenständigkeit seiner neuen Heimat abfärbte und sich in ihm eine gewisse Weinseligkeit und Unlust gegenüber Veränderungen breit machten, rettete meine Mutter ihre renitente Grundeinstellung aus der APO-Zeit hinüber in ihr neues Leben.
Erste ernste Auseinandersetzungen gab es, wie anfangs erwähnt, über das Für und Wider gewaltfreier Besetzungen von Zufahrtswegen zu Atomkraftwerken und dann eine große Krise bei der Durchsetzung des NATO-Doppelbeschlusses, als meine Mutter meinen Vater einen „verknöcherten Schoßhund des amerikanischen Imperialismus“ nannte, und er ihr daraufhin mit Scheidung wegen unüberbrückbarer politischer Differenzen drohte. Die Krise war erst überstanden, als ihnen beiden auffiel, dass sie gar nicht verheiratet waren, und sie feierten ihre Versöhnung mit einer verspäteten, standesamtlichen Hochzeit, bei der Sabine sich etwas verdutzt als Trauzeugin unserer eigenen Eltern wiederfand. Ich durfte nicht, weil ich noch nicht volljährig war. Damit waren aber die Probleme nicht vom Tisch. Schon die „blühenden Landschaften“ des Helmut Kohl brachten meine Mutter wieder in Rage, wobei es wahrscheinlich weniger die Tatsache der Wiedervereinigung war, die sie erregte, als die hämische Freude meines Vaters über den Zusammenbruch des sozialistischen Ideals, dem meine Mutter im tiefsten Inneren wohl nachtrauerte, auch wenn sie es nicht zugeben wollte.
Neuestes Streitthema ist nach Sabines Auskunft seit einigen Wochen ihre Ernährung, woran meine Schwester nicht ganz unschuldig ist, weil sie ja einen ökologischen Bauernhof betreibt. Meine Mutter ist
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