Und dann der Tod
mußte immer lachen und sagte, ich sei besessen.«
»Und stimmt das?«
»Vielleicht. Na ja, wahrscheinlich. Es gibt Zeiten, da ist es ganz schlimm.« Das Ungeheuer schien größer geworden zu sein, noch grotesker. Hatte sich das Licht verändert? Sie machte noch ein Foto. »Ich würde mich nackt fühlen, wenn ich die Kamera nicht hätte.«
»Sie dient nicht als Schutz?«
Sie hob die Augenbrauen. »Was?«
»Distanzieren Sie sich durch das Fotografieren nicht von der Situation? Soll es den Schmerz abhalten?«
»Mich distanzieren?«
Er betrachtete ihr Gesicht aufmerksam. »In welchen Situationen tun Sie es besonders oft? Wann distanzieren Sie sich?«
»Ich weiß nicht.«
»Passiert es in schrecklichen Situationen? In Danzar? In Tenajo?«
»Vielleicht.« Sie runzelte die Stirn. »Halten Sie sich zurück, Kaldak. Ich lege keinen Wert auf Ihre Psychoanalyse.«
»Tut mir leid, ist so eine Angewohnheit von mir. Aber Sie haben recht, es geht mich nichts an. Und ich wollte Ihnen auch nicht zu verstehen geben, daß irgend etwas falsch daran ist, Barrieren aufzubauen. Das machen wir alle. Ich fand es einfach interessant, daß Sie dafür eine Kamera benutzen.«
»Und was benutzen Sie?«
»Ich improvisiere.«
»Eigentlich ist es auch keine Barriere. Ich liebe meine Arbeit.«
»Ich weiß. Vergessen Sie, was ich gesagt habe. Im Grunde beneide ich Sie.«
Aber an dem, was er gesagt hatte, war etwas dran. Er war scharfsinnig und einfühlsam, und er hatte allzuoft recht gehabt.
Sie verspürte plötzlich Lust, ihn aus dem Konzept zu bringen, und hob die Kamera. »Lächeln, Kaldak.«
Sie mußte selber lächeln, als sie seinen überraschten Gesichtsausdruck bemerkte. Es verschaffte ihr eine köstliche Befriedigung, ihn ertappt zu haben.
»Noch mal.«
Scharf stellen.
Abdrücken.
»Darf ich fragen, was Sie da eigentlich machen?«
»Ich mache ein Foto von Ihnen. Sie sind ein sehr interessantes Motiv.«
Das stimmte. Durch die Kameralinse nahm sie sein Gesicht als eine faszinierende Mischung aus Kühnheit und Feinheit wahr.
Sie wünschte, sie hätte eine angemessene Beleuchtung, um seine Wangenknochen hervorheben zu können.
»Weil ich so hübsch bin? Oder geht es Ihnen darum, Ungeheuer zu vergleichen?« Er lächelte bissig und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Tun Sie sich keinen Zwang an, wenn Sie unbedingt Ihre neue Kamera aufs Spiel setzen wollen.
Ich bin dafür bekannt, daß ich sie kaputtmache.«
Er entspannte sich nur ein wenig; sie konnte sehen, wie die Anspannung aus seinen Muskeln wich. Es war merkwürdig. Sie war bisher nie in der Lage gewesen, Kaldak objektiv wahrzunehmen. Seit ihrem ersten Zusammentreffen waren alle Situationen von einer breiten Palette intensiver Gefühle geprägt gewesen – Zorn, Furcht, Frustration …
Seine Hand, mit der er die Geste gemacht hatte, war groß und gut proportioniert, dachte sie abwesend. Wie alles andere an ihm. Muskulöse Schenkel, schmale Taille, breite Schultern.
Kraft und Geschmeidigkeit und Sexualität.
Sie ließ beinahe die Kamera fallen.
Sexualität? Wie war sie denn darauf gekommen?
»Etwas nicht in Ordnung?« Kaldak betrachtete sie aufmerksam.
»Es ist nichts.« Hastig senkte sie die Kamera, wandte sich um und ging in die Dunkelkammer.
Sie fühlte sich sicher. So sicher, daß sie sogar auf die Straße ging, dachte Esteban.
Und De Salmo unternahm nichts. Er brachte nur Entschuldigungen vor.
Sie versuchte, ihm zu zeigen, daß der Tod ihrer Schwester ihr nichts bedeutete. Er wußte aber, daß sie aufgewühlt war.
Sie war in dem Beerdigungsinstitut zusammengebrochen. Und dennoch zeigte sie sich, lief herum, machte Fotos, anstatt sich eingeschüchtert zu verstecken. Sie verspottete ihn. Dieser Gedanke versetzte ihn in Rage. Das konnte er nicht hinnehmen.
Als Bess und Kaldak am darauffolgenden Tag die Wohnung betraten, klingelte das Telefon.
»Haben Sie sich gut amüsiert auf der Beerdigung, Bess?«
Sie war wie vom Blitz getroffen. »Esteban.«
Kaldak rannte in die Küche.
»Es tut mir leid, daß ich sie verpaßt habe, aber einer meiner Angestellten hat mich vertreten. Er sagte, Sie hätten sich am Grab tapfer geschlagen.«
»Sie Hurensohn.« Ihre Stimme zitterte. »Sie haben sie getötet.«
»Das hatte ich Ihnen doch gesagt. Sie hätten mir glauben sollen. Aber dann hätten Sie mich um das Vergnügen gebracht, Ihnen ein so erlesenes Geschenk machen zu können. Leider war sie schon ein wenig angegammelt. Was haben Sie gedacht, als Sie sie
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