Und dann kam Paulette (German Edition)
einige doch nicht widerstehen. Zwei Fahrer sind bereits ausgefallen. Isabelle hat sie schon entlarvt. Es ist fast zwei Uhr morgens, der Abend ist noch lange nicht zu Ende, und die Füße tun ihr höllisch weh. Sie stellt sich schon vor, wie sie selbst, aus Mangel an fahrtüchtigen Mitstreitern, die Leute nach Hause bringen muss. Die Aussicht darauf begeistert sie nicht. Das Risiko, dass einer, vom Alkohol enthemmt, sie während der Fahrt unbedingt küssen will, mit der einen Hand nach ihren Brüsten grapschend, während sich die andere an seinem Hosenlatz zu schaffen macht, ist nicht gering. Kann auch sein, dass ihr einer die Sitze vollkotzt. Alles wenig beglückend. Sie betrachtet Roland. Auch er beglückt sie nicht sehr. Um nicht zu sagen, überhaupt nicht mehr. Vor einer Stunde war er in der Küche fertig und hat sich sofort an einen der Tische gesetzt. Er trinkt viel und lacht sehr laut. Wie sie das hasst. Sie findet es daneben und deplatziert, wenn sich der Wirt zu den Gästen setzt. Wobei er es ihr ohnehin nicht recht machen kann, ihr missfällt fast alles, was er tut. Vor allem, seit er so zugenommen hat. Anfangs hatte sie gedacht, es gehe vorbei, sie würde ihren Abscheu überwinden. Aber sein Bauch ist immer weiter angeschwollen. So hatte sie kurz vor Ludovics Geburt ausgesehen. Oder vor Luciens? Es war beide Male dasselbe. Sie fand es schrecklich. Es war nicht ihr Ding. Sich so unförmig zu sehen, hatte jegliche sexuelle Lust in ihr erstickt. Für Monate. Und hinterher wurde es nie wieder so wie vorher.
Überrascht ist sie nur, dass sie genauso eifersüchtig ist wie zu Zeiten, als sie noch verliebt war. Es war ihre Idee gewesen, Kerle, und keine Mädels, zu engagieren, um Roland in der Küche zu helfen. Damit er nicht in Versuchung kam. Man weiß ja nie. In einer Küche ist es eng, man berührt sich ständig. Und es ist auch laut, man muss sich mit Blicken verständigen, das sorgt zwangsläufig für eine gewisse Nähe. Und dann die Atmosphäre, die Hitze der Öfen, die Teamarbeit, das kann einen schon überwältigen. Alles ist möglich. Den Küchenchef, der am Ende des Abends mit der jungen Köchin abhaut, gibt es nicht nur in Romanen und Filmen! Kein Wunder, dass Isabelle ausflippt. Vor neun Jahren hatten sie es ja selbst erlebt. Sie hatte in dem Restaurant ausgeholfen, in dem Roland damals gearbeitet hat.
Sie weiß, wie es läuft. Sie hat Erfahrung.
Wohingegen sie es überhaupt nicht bereut, die beiden Mädchen für den Service engagiert zu haben. Sie haben einwandfreie Arbeit geleistet, sind beide an der Krankenschwesternschule. Das scheint eine gute Voraussetzung zu sein, um sich zu organisieren und jederzeit einen kühlen Kopf zu behalten. Der Vorfall mit dem Klaps auf den Hintern, alle Achtung! Louise war das Opfer, aber Muriel, die stämmigere von den beiden, hat die Sache geregelt. Sie hat sich vor dem Kerl aufgebaut, ihm eine Ohrfeige verpasst und ihn lächelnd gefragt, ob der Herr mit dem Service zufrieden sei oder ob er noch etwas wünsche. Die Umstehenden haben applaudiert, und der Abend ist ohne weitere Zwischenfälle verlaufen. Das ist selten.
Isabelle langweilt sich. Vielleicht sollte sie mal in der Küche nachschauen, ob die beiden Männer alles aufgeräumt und den Abwasch gemacht haben. Das würde ihr morgen früh erspart bleiben, am Sonntag. Sie macht die Tür auf. Kim und Adrien sitzen auf zwei Stiegen und trinken die Reste aus den Gläsern. Das machen sie wohl schon länger, sie kugeln sich vor Lachen. Als sie Isabelle erblicken, lassen sie sich nicht aus der Fassung bringen, sondern laden sie ein, mit ihnen zu trinken. Ihr erster Reflex ist, ihnen eine gehörige Standpauke zu halten. Aber es ist zwei Uhr nachts. Sie haben fünfzehn Stunden auf dem Buckel, was soll’s …
Sie kehrt in den Saal zurück, winkt den Mädchen zu, sie sollen mit ihr in die Küche kommen, nimmt eine Flasche Champagner aus dem Kühlschrank und lässt den Korken knallen.
«He, es ist spät, und es regnet, ich werde euch nach Hause fahren. Danke. Ihr habt ganz schön rangeklotzt.»
Sie heben die Gläser.
«Prost!»
Und die Jungs ergänzen:
«Hau wech die Scheiße!»
Tja, Alkohol macht dumm. Das zumindest denken die drei Frauen in diesem Moment. Aber sie haben ja ihren Champagner auch noch nicht getrunken …
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10
Ein undichtes Dach
Der Sturm begann gegen zwei Uhr nachts. Heftige Windstöße, ein Wolkenbruch. Beeindruckend. Marceline fand in ihrem Häuschen keinen Schlaf. Sie
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