Und dann kam Paulette (German Edition)
dir unsere Mutter an! Sie wird nie über den Verlust hinwegkommen. Echt kacke, was du da angerichtet hast. Okay, okay, ist schon klar, du kannst nichts dafür. Das Leben ist eine Hure, und am Ende sterben wir alle, so ist es nun mal. Aber wir dürfen das trotzdem scheiße finden. Komm, jetzt hör auf zu flennen. Ja, es ist hart, und es wird bestimmt Jahre dauern, aber am Ende werden sie es schaffen, ohne uns zu leben, unsere Alten … So, wir zwei hauen jetzt ab. Wenn du allein zu viel Schiss hast, kannst du gern mitkommen …
Berthe ist die Einzige, die ohne eine Schramme davongekommen ist. Die Polizisten haben sich um sie gekümmert, bis Marceline zwei Tage später eintraf. Als sie aus dem Zug stieg, hatte sie nichts als ihr Köfferchen und ihr Cello dabei. Sie war das erste Mal hier. Die Mädchen hatten vorgehabt, das Haus zu renovieren und sie nach ihrer Tournee damit zu überraschen. Marceline hatte Mühe, es zu finden. Der Esel und der Kater waren tagelang allein gewesen. Cornélius hatte es geschafft, das Gatter zu seiner Koppel zu öffnen, und hatte alles, was er im Gemüsegarten und um das Haus herum fand, gefressen. Mosche hingegen, Danutas Katze, hatte bisher in einer Wohnung gelebt, sie hatte noch nie Mäuse gejagt und war kurz vorm Verhungern. Obwohl Marceline am liebsten auf der Stelle in Ohnmacht gefallen wäre, sich im Erdboden verkrochen oder in Luft aufgelöst hätte, konnte sie sich nicht gehenlassen. Berthe, Mosche und Cornélius brauchten sie. Sie hatte die drei geerbt, sie durfte sie nicht im Stich lassen. Also blieb sie. Ihretwegen. Und kehrte nie wieder nach Polen zurück. Mit ihrer Vergangenheit hatte sie abgeschlossen. Es gibt Tage, da rechnet sie aus, wie viel Zeit ihr noch bleibt. Einfach so, um eine Vorstellung zu haben. Sie hat sich erkundigt, wie lang ein Katzen- oder Hundeleben und auch ein Eselleben durchschnittlich dauert. Dabei hat sie erfahren, dass ein Hund bis zu achtzehn Jahre alt werden kann, eine Katze bis zu fünfundzwanzig und ein Esel bis zu vierzig. Eine halbe Ewigkeit. Außerdem hat sie herausgefunden, dass ein Huhn oder eine Gans achtzehn Jahre alt werden kann, ein Rabe fünfzig und ein Karpfen siebzig …
[zur Inhaltsübersicht]
55
Schulschluss
Guy und Ferdinand sitzen auf einer Bank, nicht weit vom Tor der Lehranstalt entfernt. Von dort aus haben sie die große Uhr sowie die Ein- und Ausgänge gut im Blick. Sie haben etwas Muffensausen. Um halb fünf ertönt die Schulglocke, die Türen gehen auf, die Schüler rennen auf die Straße. Die beiden Männer stehen auf. Unweit von ihnen findet sich eine Gruppe junger Leute zusammen, sie sind ziemlich laut, reden durcheinander, fallen sich gegenseitig ins Wort, rempeln sich mit ihren Taschen an. Die beiden Männer gehen auf sie zu, Ferdinand räuspert sich, entschuldigt sich für die Störung, er würde ihnen gern eine kurze Frage stellen. Auf einen Schlag sind alle still, sehen ihn argwöhnisch an. Ferdinand fragt, ob einer von ihnen zufällig eine Unterkunft sucht. Die Jungen sind skeptisch. Was sind das denn für zwei Alte? Was wollen die von uns? Schon komisch, dass die in ihrem Alter Gymnasialschüler abpassen, irgendwie verdächtig … Aber einer der Jungen erkennt sie, er hat sie schon bei seinem Onkel im Café gesehen, das sind ehemalige Bauern. Jetzt sind sie beruhigt und beratschlagen untereinander. Na klar, Kim droht bald die Obdachlosigkeit. Sie rufen seinen Namen. Langsam schlurft er heran. Was’n los? Tatsächlich, die Leute, bei denen er gerade zur Miete wohnt, wollen sein Zimmer wiederhaben, das heißt, er fliegt demnächst raus. Und was können ihm die beiden Alten bieten? Tja, vielleicht hätten sie was für ihn. Cool, und wie hoch ist die Miete? Ferdinand und Guy schlagen vor, sich auf die Bank zu setzen, so können sie sich in Ruhe unterhalten.
Nun ja, sie haben durchaus ein Zimmer, was sie aber vor allem suchen, ist jemand, der ein paar Stunden die Woche im Garten mithilft. Das ist ja witzig, meint der junge Mann, zufällig besucht er die Landwirtschaftsschule! Nur, dass er ihre Begeisterung gleich dämpfen will und ehrlich zugibt: Konventioneller Ackerbau ist überhaupt nicht sein Ding. Er ist gegen den Einsatz von Chemie, so was macht er nicht mit. Ferdinand und Guy sehen sich an, das passt ja perfekt. Einverstanden, sagt der junge Mann, aber es gibt noch ein Problem: Was wollen sie für das Zimmer haben? Er gehört eher zu denen, die chronisch blank sind. Diesmal amüsieren sich die Alten.
Weitere Kostenlose Bücher