Und dann kam Ute (German Edition)
genannt «die Rundbürste». Helga, die Friseurlegende, die vor Ute in der Wohnung unter mir gehaust hatte. Helga war jetzt seit einem Jahr auf Gran Canaria und fühlte sich dort pudelwohl – für ehrenvolle Pensionäre wie Helga ist die Insel mit ihrer einzigartigen Natur und der handfesten Eckkneipenkultur schließlich wie gemacht. Wer allerdings noch alle Tassen im Schrank hat und auch körperlich noch voll im Saft steht, für den ist dieses idyllische Eiland schlicht die letzte Ausfahrt vor der Hölle. Ich ging also ans Telefon. Adios, Frauke, te quiero, mi diavola erotica – wir sehen uns morgen.
«Hallo, Helga, ich hoffe für dich, dass es wichtig ist!»
«Spricht man so mit einer alten Freundin, du vorlautes Lockenschaf? Es ist lebenswichtig, sonst würde ich dich doch nicht bei ‹Exclusiv› stören. Wie ich dich kenne, hast du den Gurkensalat schon aufgegessen.»
«Helga, was ist los? Hast du Ärger? Wen soll ich lautlos töten?»
«Nee, nee, alles gut. Ich brauch nur ganz spontan ’nen Trauzeugen, sonst nix. Ich hab nämlich einen ganz reizenden Mann kennengelernt. Enrico und ich heiraten übermorgen hier auf Gran Canaria. Haste Zeit?»
«Also jetzt mal langsam zum Mitschreiben. Hast du nicht immer gesagt: Warum gleich heiraten, man kann doch erst mal ’n bisschen fummeln?»
Sie kicherte. «Ja, klar. Aber das haben wir längst hinter uns. Und du weißt ja – für alles andere will ich ’nen Trauschein.»
Mir fiel der Kitt aus der Alpina-Brille. Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. Überrumpelt stammelte ich in den Hörer: «Ich bin morgen da. Stell schon mal ’nen Eimer Sangria kalt. Aber damit das klar ist, mein Turteltäubchen: Bevor ich unterschreibe, muss dein spanischer Stanglwirt erst bei mir durch den TÜV.»
Hustend verschluckte sie sich an der obligatorischen Mentholkippe und wollte protestieren, aber da hatte ich schon mit einem lakonischen «Bis morgen, mein Rotfuchs!» aufgelegt. Meine Helga wollte heiraten. Das war ja ’n Ding! So kannte ich sie gar nicht. Irgendwas war da doch faul, nur was? Das musste ich herausfinden. Ich rief schnell in der Agentur an, um mich für die nächsten Tage abzumelden und die Reisedaten zu klären. Pünktlich um halb acht am nächsten Morgen stand ich im Düsseldorfer Abflugterminal am Ende der längsten Rentnerpolonaise Europas. Nach zehn Minuten hatte ich den Kaffee auf, setzte den Blinker und zog rechts an der greisen Oldieparade vorbei, direkt zum Schalter. Sofort rief der aufmüpfige Rudelführer: «Ey, Locke, hinten anstellen!»
«Da war ich schon, ist mir zu voll!»
«Ist mir scheißegal. Du stellst dich hinten an. Sonst gibt’s was anne Mappe!»
Ich drehte mich um und schnarrte den Hirni an: «Hömma, Käpt’n Windjacke, was will dir diese Brille sagen? Rrrichtig, ich bin der Pilot!»
Um die Schlägerei hinter mir hab ich mich nicht mehr gekümmert. Koffer aufs Band, eingecheckt und mit hochgereckten Armen durch die Sicherheitskontrolle. Eine halbe Stunde später saß ich schon in meinem Sitz und nippte gemütlich am Tomatensaft. Ich räkelte mich, gähnte herzhaft, sackte leicht weg … und dann sah ich sie auch schon durch den Vorhang zum Cockpit auf mich zukommen. Eine erotische Naturgewalt! Ihr knappsitzendes Stewardessenkostüm schob sich bei jedem Schritt knisternd mit dem Polyesterunterrock über die formvollendeten Schenkel. Ich erschauerte vor Lust. Mit den messerscharfen Highheel-Stilettos von «Graceland» würde sie selbst einer hochgiftigen asiatischen Tsuang-Nghong-Mücke noch die Winterkirschen epilieren können. Langsam beugte sie sich über mich. Ihre sinnlichen Lippen näherten sich meinem linken Ohr und raunten verheißungsvoll mit tiefer Stimme: «Hola Señor Schröder. Mein Name ist Maria Gabriela Marquez del Campo. Ich begrüße Sie im Namen von ‹Love Air› an Bord der ‹Chupar la piña› auf Ihrem Flug ins Paradies. Ich bin Ihr Frühstück. Wie hätten Sie denn gerne Ihre Eier?» Während ich schon fast von Sinnen ein heiseres «Gestreichelt» hauchte, setzte sie sich auf meinen Schoß. Ich schrie vor Schmerz.
In diesem Moment wurde ich wach. Entsetzt musste ich feststellen, dass nicht etwa Miss Südamerika auf mir gelandet war, sondern eine Sechserpackung steinschwerer Bocciakugeln. Neben meinem Sitz stand ein Gartenzwerg mit weißen Pumasocken in Trekkingsandalen und versuchte verzweifelt, mit seiner gichtigen Rentnerkralle die Klappe des Gepäckfachs über mir wieder zu schließen. Anstatt
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