und der Geisterzug
Unterlippe. »Das könnte mit den zwanzig chinesischen Bahnarbeitern zusammenhängen, die dort ums Leben gekommen sind.«
»Das ist ein böses Kapitel in der Geschichte der Stadt«, sagte Mr Kingsley. »Nach dem Unglück wollten die Chinesen einen Schrein für ihre Toten aufstellen, da die Leichen nicht geborgen werden konnten. Die Stadt verweigerte es ihnen. Chinesen waren damals nicht angesehen – man hatte sie zwar für den Bau der Transkontinentalen Eisenbahn gebraucht, aber danach hätte man sie am liebsten alle wieder aus dem Land geworfen. Doch sie blieben hier. Als Harrow seine Stadt gründete und auch hier eine Bahnlinie baute, folgten ihm viele Arbeiter hierher. Sie lebten unter erbärmlichen Bedingungen, schufteten wie die Sklaven und wurden miserabel bezahlt. Und schließlich gab man ihnen sogar die Schuld an der Explosion im Tunnel. Besonders die Familie Campbell, die vom Tod der Harrows am meisten profitierte, tat alles, um die Leute in der Stadt gegen die Chinesen aufzubringen. Daher stammt die gegenseitige Feindschaft, die sich bis heute gehalten hat. Und dass Dr. Long sich mit den barbarischen Großnasen abgibt, nehmen ihm viele seiner Leute übel. Ich erinnere mich –«
»So genau wollen es die Jungen doch gar nicht wissen, William«, unterbrach ihn seine Frau, und Mr Kingsley kehrte abrupt aus der Vergangenheit zurück und lächelte verlegen. »Tut mir Leid«, sagte er. »Die Eisenbahngeschichte ist eben mein Hobby. Ich kriege nie genug davon.«
Justus, Peter und Bob hatten fasziniert zugehört. Natürlich wussten sie, dass im 19.Jahrhundert eine Eisenbahnlinie quer durch den Kontinent gebaut worden war – immerhin hatte im Anschluss daran der Aufstieg von Los Angeles zu einer Millionenstadt begonnen. Aber jetzt hatten sie plötzlich das Gefühl, an einem Ort lebendiger Geschichte zu sitzen.
»Vielen Dank«, sagte Justus. »Aber um auf das Transparent zurückzukommen – steht da normalerweise noch mehr drauf?«
»Manchmal«, sagte Sam, da Mr Kingsley offenbar geistig wieder im 19.Jahrhundert steckte und nicht antwortete. »Ein paar Mal stand darauf ›Harrows Sackgasse‹ oder ›Vergangenheit ohne Zukunft‹. Besonders dämlich war ›Mehr Schrein als Sein‹.« Er zuckte die Achseln. »An sich ist es nicht gefährlich – aber es ist kein tolles Gefühl, auf eine weiße Wand zuzufahren und nicht zu wissen, was dahinter ist.«
Die drei ??? wechselten einen Blick. »Und was stand heute darauf?«, fragte Justus.
»Das habe ich nicht gesehen. Ich war gerade dabei, Kohlen nachzulegen, als Carl plötzlich sagte: ›Verdammt, da ist wieder so ein Transparent!‹ Gleich darauf waren wir durch, dann flog etwas zur Seite, und Carl bremste wie verrückt.« Er runzelte plötzlich die Stirn. »Aber da war der Scheinwerfer noch heil.«
»Und Sie haben auch nicht gesehen, was da zur Seite flog?«, fragte Bob gespannt.
Sam schüttelte den Kopf. »Nein. Ich habe Carl gefragt, aber er sagte, er wüsste es nicht.«
»Aha«, machte Justus. »Aber mir ist noch immer etwas anderes unklar. Wer hätte einen Grund dazu, Fred im Zug niederzuschlagen und einzusperren?«
»Niemand«, sagte Sam. »Aber wenn ich denjenigen erwische, wird er bereuen, je geboren worden zu sein.«
Die drei ??? musterten den stämmigen Mann und glaubten ihm aufs Wort. Justus blickte Fred an. »Hat er dir vielleicht irgend etwas gestohlen? Schlüssel, Geld, Schaffnerkelle?«
Fred schüttelte den Kopf. »Ich hab kein Geld, und alles andere war noch da.«
»Hm. Hast du dann vielleicht vorher irgend etwas gesehen, das dir ungewöhnlich vorkam? Im Speisewagen oder vielleicht draußen vor dem Fenster?«
Fred überlegte und schüttelte wieder den Kopf. »Da war irgendwo etwas Graues, aber ich weiß nicht mehr, wo oder was es war. Alles andere war wie sonst. Ich wollte nur das Vanilleeis aus dem Kühlschrank holen.«
»Ach nein!« Sam warf Fred einen scharfen Blick zu. »Ich dachte, Carl hätte dir verboten, auf dieser Fahrt auch nur an den Kühlschrank zu denken ? Was wolltest du mit dem Eis?«
»Das war doch nicht für mich! Es war für Justus, Peter und Bob! Das ist doch mein Job!«
Justus hielt es für angebracht, das Thema zu wechseln, und räusperte sich. »Mr Kingsley? Eigentlich würde ich mir jetzt sehr gern das Museum ansehen. Dafür sind wir ja schließlich hergekommen.«
»Wie du willst«, sagte Mr Kingsley. »Aber ich habe noch etwas zu erledigen. Fred kann euch das Museum zeigen.« Fred nickte eifrig, zuckte gleich
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