… und der Preis ist dein Leben II - Ruf der anderen Seite (German Edition)
„Das reinste Koma.“
Elizabeth starrte ihn verstört an. Die Traumbilder standen ihr noch deutlich vor Augen und sorgten für vage, nicht greifbare Angst. Nur ein Traum , sagte sie sich, es war nichts weiter als ein Traum . „Wie spät ist es?“, fragte sie. Regen prasselte ans Fenster, und das milchige Licht, das durch den Spalt im Vorhang fiel, ließ keinen Schluss auf die Uhrzeit zu.
„Gleich ist Sonnenaufgang. Willst du mir von deinem Traum erzählen?“
„Nein!”, fuhr sie auf. Als Daniel sie verwundert ansah, fügte sie ruhiger hinzu: „Ich kann mich schon gar nicht mehr richtig daran erinnern.“
Einige Sekunden lang sah Daniel sie noch stirnrunzelnd an, doch dann lächelte er und legte die Arme um sie. Im nächsten Augenblick hatten sie bereits Substanz und schlossen sich fest um ihren Körper. Mit einer Hand in seinem Nacken und einer am Sonnenamulett kuschelte sie sich in die Umarmung und genoss in vollen Zügen das Gefühl von Halt und Geborgenheit, von dem Daniel neulich behauptet hatte, es ihr niemals bieten zu können.
Doch plötzlich flimmerte ein Lichtschein zwischen ihren Fingern hervor. Erschrocken zog sie ihre Hand zurück. Wie am Morgen zuvor ging von dem silbernen Anhänger ein helles, sich ausbreitendes Leuchten aus.
Auch Daniel blickte auf seine Brust und dann beschwörend in Elizabeths Augen.
„Keine Angst“, flüsterte sie und zog ihn zu sich. Gleichzeitig tastete sie mit ihrem ganzen Selbst nach ihm. Da sie diesmal wusste, was zu tun war, ging es erstaunlich einfach. Als wäre es das Natürlichste auf der Welt, griff Elizabeth nach ihm und hielt ihn fest. Doch es war mehr als nur ein Halten. Es war, als würde ihre Seele mit ihm verschmelzen, eins werden. Ein überwältigendes Gefühl, das wohl auch Daniel empfand, denn er keuchte leise auf, ein glücklicher, überraschter Laut, und drückte sich noch fester an sie.
Obwohl das vom Amulett ausgehende Vibrieren so stark wurde, dass sogar Elizabeth es spüren konnte, breitete sich das Licht dieses Mal nicht weiter aus, und Daniels Gestalt wurde auch nicht undeutlich oder durchscheinend. Ihr Griff war sicher und stark.
„Danke“, seufzte Daniel, sobald das Leuchten wieder verschwunden war.
„Nichts zu danken“, erwiderte Elizabeth erleichtert aufatmend. „Ich mache das aus reinem Egoismus.“
„Was genau hast du da eigentlich eben getan? Das war anders als gestern. So intensiv … Einfach umwerfend!“
„Ich weiß es nicht. Ich bin einfach meiner Intuition gefolgt.“
„Bitte, mach das morgen wieder.“
Nach einem reichhaltigen Frühstück setzte sich Elizabeth an den Artikel, den sie im Auftrag des wohltätigen Antiquitätenhändlers Sir Thomas Hamilton schrieb, und der Daniels guten Ruf wiederherstellen sollte.
Während Elizabeth mit dem Laptop auf dem Sofa saß und ihre Notizen durchging, übte sich Daniel darin, Gegenstände zu bewegen. Der höchst konzentrierte Gesichtsausdruck, mit dem er einen leeren Joghurtbecher auf der Reisetruhe vor der Couch fixierte, hatte schon fast etwas Komisches. Doch dann hob er eine Hand und schob das Plastikgefäß zügig quer über die Truhe. Sichtlich zufrieden mit seiner Leistung wandte er sich anschließend einem leeren Glas zu, das er zwar nicht ganz so schnell, aber doch konstant über die glatte Lederoberfläche schob.
„Könnte der folgende Ausspruch von dir stammen, Danny? Unsere Herkunft und die Gegebenheiten unsers Umfelds mögen definieren, wer wir sind. Doch nur wir alleine bestimmen, was aus uns wird .“
Daniel lachte auf. „Also wirklich, Miss Parker! Einem Toten Worte in den Mund zu legen, das sind doch eindeutig Star-Methoden.“
„Zitate zu verfassen und von dem Betreffenden absegnen zu lassen, ist eine legitime journalistische Praxis“, widersprach Elizabeth schmallippig und blickte stur auf den Bildschirm. „Ich lege ja schließlich keinem Toten, der sich nicht mehr dazu äußern kann, Worte in den Mund!“ Sie sah vom Laptop auf. „Nun?“
„Der Satz könnte auf jeden Fall von mir sein“, schmunzelte er. „Auch wenn ich ihn bestimmt nicht so gut formuliert hätte wie du, Oxford.“
Wenig später ging Elizabeth in die Küche, um sich etwas zu trinken zu holen. Als sie mit einer Tasse Tee in der Hand zurückkam, war Daniel gerade dabei, das Glas im Kreis zu bewegen. Sie nahm ihren Laptop wieder auf den Schoß und wandte sich dem zuvor geschriebenen Absatz zu … und traute ihren Augen kaum. Unter ihrem letzten Satz standen drei neue Worte:
Weitere Kostenlose Bücher