und der tanzende Derwisch
Augen.
Sie schliefen eng aneinandergekuschelt unter der Decke und der Plane, gewärmt durch die gegenseitige Körperwärme, und waren viele Stunden lang zu erschöpft, die zunehmende Kälte der Januarnacht im Freien zu spüren. Als Mrs. Pollifax davon schließlich doch erwachte, stellte sie fest, daß Max nicht mehr neben Ahmad lag. »Max?« flüsterte sie stockend.
»Bin schon noch hier«, erklang seine Stimme heiter vom hinteren Ende der Ladefläche. »Mache nur ein paar Liegestützen, um mich zu wärmen.« Er kehrte zurück und sie sah seine Silhouette gegen den dunklen Himmel, ehe er sich setzte und seinen Deckenanteil über die Hüften zog.
»Ein Königreich für eine Tasse Kaffee! Wie spät ist es?«
»Halb vier.«
»Sie haben doch hoffentlich geschlafen?«
»Herrlich, und jetzt ist plötzlich Donnerstag. Warten wir bis es hell wird, ehe wir weiterfahren?«
»Das ist wahrscheinlich das beste. In einer Stunde dürfte es soweit sein. Wir können uns inzwischen Geschichten erzählen.«
Sie lächelte. »Kennen Sie eine gute?«
Er überlegte kurz. »Ich weiß nicht, ob sie gut ist, aber ich muß immer wieder an sie denken, seit ich mich für den Maghreb interessiere und für seine Abenteurer, seine Geschichte und Kulturen. Es ist eine Geschichte über wirkliche Leute, eine Vignette, die ich sehr mag.«
»Erzählen Sie«, forderte sie ihn auf. »Ich überlege, wie ich es angehen soll, denn erst muß man den Charakter verstehen, bevor man die überwältigende Ironie und Überraschung begreifen kann. Haben Sie schon einmal von Lyautey gehört? General Lyautey?«
Mrs. Pollifax überlegte. »Ich glaube ja, sein Name ist mir auf den paar Seiten über die Geschichte Marokkos im Reiseführer ein paarmal ins Auge gesprungen.«
Max nickte. »Er war der erste hier residierende General von Marokko, nachdem die Franzosen es schließlich an sich gebracht hatten und 1912 zum Protektorat erklärten. Aber er war zuvor - nachdem er seine Karriere als Kolonialoffizier in Indochina begonnen hatte und danach in Madagaskar eingesetzt gewesen war - in Algerien, das die Franzosen bereits besetzt hatten. Lyautey war die Art Mann, dessen Ambitionen und Fähigkeiten größer waren als seine Verbindungen in Frankreich, weshalb er sich vernünftigerweise für den Kolonialdienst entschied. Er erhielt das Kommando über einen Vorposten in Ain Sefra in der algerischen Wüste, wo er die kriegerischen marokkanischen Stämme daran hindern mußte, die Grenzen zu durchbrechen und sich auf seinen Nachschub zu stürzen. Okay«, sagte er und begann mit der eigentlichen Geschichte. »Stellen Sie sich einen aristokratischen Typ vor, intellektuell, egoistisch, ohne Interesse an Frauen, ohne Zeit und Geduld für Freunde. Brillant, natürlich. Anspruchsvoll, energisch, streng, genau, seinen Männern alles abverlangend ...«
Sie lächelte. »Ich verstehe.«
»Gut. Und nun frage ich Sie, haben Sie je den Namen Isabelle Eberhardt gehört?«
Wieder überlegte sie. »Eine Forscherin? Oder eine dieser viktorianischen reisenden Frauen?«
»Eine Reisende ohne Zweifel, aber sie war auch ...« Er zögerte. »... auch eine Rebellin, eine erstaunliche Rebellin - bis zur Selbstzerstörung, könnte man sagen - und schließlich eine von der Gesellschaft Verfemte. Nach einer Reise hierher war sie schon als Mädchen vom Maghreb verzaubert und setzte alles daran, dorthin zu kommen, was ihr schließlich auch gelang. Sie trat zum Islam über und heiratete einen einheimischen Spahioffizier - Sie können sich vorstellen, wie man sich darüber die Mäuler zerriß, obwohl er naturalisierter Franzose war -, gab jedoch ihre Reisen durch Nordafrika nicht auf, wodurch sie sich auseinanderlebten. Sie kleidete sich als Mann, nannte sich Sidi Mahmoud Saadi, wurde zur Nomadin, streifte mit den Eingeborenenstämmen herum und sah sich häufig der Verachtung sowohl von Europäern wie Algeriern ausgesetzt.«
Max machte eine kurze Pause, dann fuhr er fort. »Eines Nachts, auf dem Rückweg in sein Zelt, stolperte General Lyautey über einen schlafenden Mann, der sich in eine Decke gekuschelt hatte. Es war der Mann, der sich Sidi Mahmoud nannte.«
»Isabelle Eberhardt!«
»Ja. Und als er erfuhr, wer sie war - sie hatte zu jener Zeit einen etwas zweifelhaften Ruf -, lud er sie in sein Zelt ein, und sie unterhielten sich bis zum Morgengrauen. Von da an kam sie jede Nacht in sein Zelt, und sie unterhielten sich - worüber weiß nur Gott -, diese Ausgestoßene, die jede Regel der viktorianischen
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