Und der Wind bringt den Regen
deshalb mußte er natürlich trotz der mütterlichen Proteste seine Hupe ertönen lassen, ganz laut. Als sie dann freie Bahn hatten, kam er viel schneller vorwärts. Kein Mensch, davon war er überzeugt, hätte ihn überholen können.
Taffy aß gern ein Stück Sülze zum Tee abends, dazu ein bißchen Essig, eine oder zwei dünne Scheiben Brot mit Butter, und danach vielleicht noch ein Stück selbstgemachten Kuchen. Und Nell liebte es, dabeizusitzen und ihn essen zu sehen, zu spüren, wie es ihm schmeckte, und zu hören, wie sein Tag verlaufen war. Sie sah Lachen oder Ärger in den weichen schwarzen Augen aufblitzen wie einen Sonnenstrahl im April über dem Waldsee; ab und zu stand sie auf, holte die Teekanne vom Herd, und füllte seine Tasse. Wenn dann alles abgeräumt und Benbow im Bett war, blieb er mit der Zeitung am Tisch sitzen, und sie nahm sich ein Buch vor. Manchmal blickte sie auf und sah ihn liebevoll und sogar bewundernd an. Bis dann der alte Mann vom Wohnzimmer herüberkam und sagte, Oma hätte jetzt gern ihren Kakao. Der warme behagliche Abend war damit zu Ende. So sah ihr gemeinsames Leben aus; und es gab eigentlich keinen Grund, warum das Leben nicht immer so weitergehen sollte — bis endlich der Tag kam, da sie und Taffy und Benbow in das kleine Häuschen übersiedeln konnten, das für sie der Himmel auf Erden werden sollte.
Lizzie Dorman hatte, wie sie es nannte, ihre guten und ihre schlechten Tage. An den guten Tagen stand sie auf und kam nach unten; an den schlechten blieb sie oben im Bett. Heute war ein guter Tag. Sie saß in der Küche.
«Ich hab ’ne Feuerwehr», sagte Benbow und ließ den Wagen über den Küchentisch rollen.
«Nicht hier auf dem Tisch, Junge», sagte Oma und wies auf einen langen Kratzer. «Den hat dein Dada gemacht, als er vier war - mit einer Eisenbahn.»
«Schön draußen heute», sagte Nell und nahm ihren Hut ab. «Richtig frisch.»
Aber Omas Gedanken waren noch in der Vergangenheit. «Das waren glückliche Zeiten, damals», sagte sie mit zitternder Stimme.
«Ja, das waren es wohl», meinte Nell mitfühlend, obgleich sie sich nicht vorstellen konnte, daß Oma jemals glückliche Zeiten erlebt hatte. Sie war nicht der Mensch dafür.
«Es hat jemand nach dir gefragt», sagte Oma. «Sie ist rübergegangen zu deinem Mann.» Sie brachte es nicht über sich, Taffys
Namen auszusprechen, genauso wie Benbow ihn hartnäckig nannte.
«Besuch - für mich? Wer denn?»
«Ein komischer Name, ich hab ihn nicht richtig verstanden.» Jetzt fiel ihr etwas ein. «Ach ja, sie ist deine Cousine, hat sie gesagt.»
«Doch nicht etwa Vanwy?»
«Kann sein, ja.» Oma war nicht mehr interessiert. «Das war das einzige Mal, wo Tom unartig war. Sonst war er immer brav. Ein Goldkind.»
«Dann will ich mal rübergehen», sagte Nell mit einem merkwürdigen Gefühl im Magen.
«Ein Goldkind. Wenn ich den Kratzer sehe, muß ich immer an die kleine Eisenbahn denken. Aber das war das einzige Mal, wo er unartig war. Ein Goldkind, unser Tom.»
Nell ging, Benbow an der Hand, in den Laden hinüber. «Wo ist Taffy?»
«In der Werkstatt. Du hast mir wohl keine Blutwurst mitgebracht, oder?»
«Nein, Dad, tut mir leid.»
«Macht nichts. Geh nicht extra. Ich hätte bloß gern ein Stück zum Tee gehabt.»
«Ich geh nachher noch mal los.» Sie lief auf den Hof. Zur Werkstatt kam man nur über eine Außentreppe ohne Geländer; zwischen den Stufen waren große offene Lücken, die Benbow Angst einjagten. Deshalb nahm Nell ihn unter den Arm und trug ihn nach oben. Schwer atmend und mit rotem Gesicht kam sie in der Werkstatt an. Taffy stand an der Arbeitsbank und schenkte gerade zwei Tassen Tee ein. In einem der neuen Sessel saß Vanwy, weit zurückgelehnt, und blickte Nell kühl lächelnd entgegen.
«Vanwy - was ist los? Was machst du hier?» Nell merkte selber, daß ihre Begrüßung nicht gerade herzlich klang.
«Tag, Nell. Ich hab hier ’ne Stellung angenommen. Bei Derwent Drapery - Tuchhandel. Montag fange ich an.»
«Na, so was, Vanwy!» Plötzlich freute sich Nell. «Du kommst nach Ingerby! Aber wo willst du wohnen?»
«Keine Sorge. Über dem Laden sind Schlafräume. Nicht gerade elegant, aber so bequem wie in Wales sind sie allemal.»
«Tasse Tee, Liebes?» fragte Taffy. «Du auch, Benbow?»
Nell nickte und Benbow sagte:
«Nein, danke, Mr. Evans.»
Vanwy zog einen Umschlag aus ihrer Handtasche und warf ihn Nell zu. Ein dickes Bündel Geldnoten war darin.
«Fünfzig Pfund»,
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