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Und der Wind bringt den Regen

Und der Wind bringt den Regen

Titel: Und der Wind bringt den Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Malpass
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Nell.
    «Und nun ist alles vorbei — fast, als ob es nie gewesen wäre. Und dabei hat sich dadurch alles, zwischen dir und mir, zwischen Pa und Ma und mir, und auch zwischen Frank und mir, geändert, selbst wenn er es nie erfährt.» Sie lachte kurz auf. «Selbst zwischen mir und mir selber.»
    «Und zwischen dir und Walter?» fragte Nell.
    Alice hörte sie nicht; gedankenverloren starrte sie auf die Tischdecke. «Armer Frank», murmelte sie. «Armer Frank.» Ihr rechter Arm lag auf dem Tisch, und die Finger gruben sich in den Handballen, als zerknülle sie ein Taschentuch. Und plötzlich ballte sie die Faust und schlug auf den Tisch. «Warum mußte er auch zurückkommen?» rief sie. «Warum zum Teufel mußte er zurückkommen?»
    Alice war zu stolz und zu mutig, um zu lügen. Aber in diesem Fall setzte ihr das Gewissen so zu, daß sie Frank Hardy eine lange Beschreibung der Weihnachtsfeiertage bei den Eltern von Schwester Mary Gateley in Skegness gab und erst dann von ihrer bitteren Enttäuschung über das verfehlte Treffen sprach. Sie sei sehr deprimiert, weil sie nicht zu Hause war, als er kam.
    Frank schrieb zurück, er freue sich, daß sie ein paar schöne Tage gehabt habe nach all den schweren Jahren, sie habe die Erholung wirklich verdient, und er hoffe, die Seeluft habe ihr gutgetan. Von seiner grausamen Enttäuschung schrieb er nichts, auch nicht von der langen ermüdenden Rückfahrt und nichts davon, daß er vierundzwanzig Stunden früher als nötig zurückgekommen sei - was für jeden Soldaten das übelste ist, was ihm passieren kann. Aber er schrieb ihr, daß die Enttäuschung seine Liebe und seine Sehnsucht fast bis zur Grenze des Erträglichen gesteigert habe. Sie war erstaunt darüber, daß er das zugab.
     

9
     
    Man schrieb das Jahr 1919. Es war das Jahr, in dem Benbow zur Schule kam und Siegfried ins Vaterland zurückkehrte, das Jahr, in dem Frank Hardy heimkam, um seine Braut zu holen, und in dem die Alliierten sich einen Vertrag ausdachten, der Frieden für alle Beteiligten und für alle Zeiten garantieren sollte. Es war auch das Jahr, in dem Tom Dormans Name auf dem Kriegerdenkmal am Marktplatz von Ingerby erscheinen sollte.
    Will Dorman war hochzufrieden, als man ihn in den Ausschuß für das Kriegerdenkmal wählte. So konnte er Oma von den Entwürfen für das Denkmal berichten, und sie konnte ein paar Tränen darüber vergießen.
    Einige waren wunderschön. Kampferprobte Tommies warfen sich mit gezücktem Bajonett dem Feind entgegen, und erschöpfte Tommies, die sich auf ihre umgekehrten Gewehre stützten, oder siegessichere Tommies mit wehenden Fahnen. Ein Entwurf zeigte die Friedenstaube, wie sie - nicht ganz überzeugend - den Kriegsgott Mars und seine Bluthunde in Schach hielt. Es gab Blechhelme, auf Gewehre gestülpt, und Schwerter und Lanzen und Lorbeeren. Man mußte zugeben: sie taten ihr Bestes, um der schlimmsten Tragödie, die die Menschen (bis dahin) gekannt hatten, ein würdiges Denkmal zu schaffen. Überall, in Stadt und Land und in jedem Dorf in England, Frankreich, Belgien und Deutschland taten die Überlebenden das einzige, was ihnen einfiel, das einzige, was ihnen zu tun blieb: sie meißelten die Namen ihrer armen und einst so stolzen Toten in Stein.
    Mit dem neuen Jahr kommt meist auch neue Hoffnung. Plötzlich ist es bis fünf Uhr hell, dann bis halb sechs. Der Laternenanzünder macht seine Runde erst abends und nicht mehr mitten am Nachmittag. Im Westen hält sich noch ein letzter Schimmer Lichts, und über den Baumstämmen liegt ein lebendiger Glanz. Ein schwacher grüner Schleier hängt in den Weiden, und trotz der Kälte haben die Sonnenstrahlen schon einen Hauch von Freundlichkeit.
    Es wurde März, bis sie Siegfried heimschickten. Der Friedensvertrag war noch nicht geschlossen, aber man war wohl der Ansicht, selbst wenn Deutschland die Feindseligkeiten wieder aufnehmen sollte, würde es auf Siegfried Braun dabei nicht allzusehr ankommen.
    Als Mabel sein Gesicht sah, wußte sie, was los war. Er lachte und schwenkte ein Formular in der Hand.
    «Was gibt’s, mein Lieber?» fragte sie traurig. «Deutschland?»
    «Ja.» Er strahlte.
    Beim Abschied begleitete sie ihn ein kleines Stück den Sandweg hinunter. Selbst das Moor schien an diesem Märztag zum Leben erwacht. «Also gut, Sieg», sagte sie tapfer. «Dann geh mal los. Auf Wiedersehen.»
    Ungeschickt legte er den Arm um sie und gab ihr einen Kuß. Noch immer war das Lachen in seinem Gesicht. Dann ging er. Er drehte

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