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Und der Wind bringt den Regen

Und der Wind bringt den Regen

Titel: Und der Wind bringt den Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Malpass
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Kämpfen zu schwach war, dann ging er gefälligst in eine Munitionsfabrik und sorgte dafür, daß den Männern draußen an der Front die Kugeln nicht ausgingen. So war es nur natürlich, daß die Leute von Ingerby ihm alles in die Schuhe schoben, eine unerwünschte Schwangerschaft ebenso wie die Explosion in der Munitionsfabrik.
    Den Dormans, die um Tom trauerten, war schon sein Name verhaßt. Er lebte, während Tom gefallen war. Sie wünschten ihm nichts Gutes, Großtante Min, die sich in Krankheit und Leiden auskannte, sprach für sie alle, als sie einmal sagte: «Wenn ihm seine Plattfüße doch wenigstens weh täten.»
    Aber Nell hatte immer etwas übrig gehabt für den lustigen Taffy. Sie hätte es nicht in Worte fassen können, aber sie spürte, daß seine Keckheit, das, was die anderen an ihm so reizte, nur ein Deckmantel war für die Ängste eines schwachen Menschen in einer fremden, ja feindlichen Umgebung.
    Ja, sie hatte immer etwas übrig gehabt für ihn. Wenn andere ihn heruntermachten, blieb sie stumm. Und wenn sie an ihn dachte, fiel ihr immer das Bank Holiday-Wochenende im August ein, das nun eine Ewigkeit zurücklag. Benbow war damals noch nicht geboren, und Tom war noch am Leben, und aus Wales war ihre Cousine Vanwy zu Besuch gekommen. Sie hatten den Wagen genommen und waren aufs Land hinausgefahren, zu einem richtigen Picknick. Die blonde, stämmige Nell sah immer ein bißchen so aus, als käme sie gerade aus der Backstube; aber Vanwy sah immer wie ein Gemälde aus mit ihrem rabenschwarzen Haar, ihren rosigen Wangen und ihren großen dunklen Augen. Nell konnte man leicht vom Gesicht ablesen, was sie dachte oder fühlte. Was in Vanwy vorging, konnte niemand sagen.
    Damit die Cousine Gesellschaft hatte, hatten sie auch noch Taffy, Toms Schwester Alice und ihren Verlobten Frank Hardy mitgenommen.
    Es war ein trockener Sommer gewesen, die Felder waren ausgedorrt und verbrannt. Sengende Hitze lag über dem Land. Die Kühe standen in der Flußniederung und peitschten mit den Schwänzen. Die Pferde wieherten leise und hielten die Nüstern an die rauhe Borke der Bäume. Ein schmaler Pfad führte am Flußufer entlang; dort hielten sie den Wagen an und trugen die Körbe mit dem Essen in den Schatten einer mächtigen Eiche. Tom schirrte das Pferd aus und hängte ihm den duftenden Futtersack um den Hals. Das Pferd stampfte und schnaubte zufrieden. Sie packten die belegten Brote aus und füllten die Becher mit Ingwerbier aus dem großen Steinkrug. Wortlos begannen sie zu essen und zu trinken. Ringsum herrschte tiefer Friede, und Friede war auch in ihnen. Für Nell war dies vielleicht der glücklichste Tag, seit sie in die Midlands gekommen war - aus dem lieblichen Wales ins harte Flachland.
    Leise rauschte der Fluß. Sie sprachen wenig. Nell lag ausgestreckt im Gras, den Kopf auf der Brust ihres jungen Ehemanns, und lächelte ihm zu, und wenn er zurücklächelte, so erschien ihr sein Gesicht wie warmer Sonnenschein - wie die Liebe Gottes. Schatten spielten auf Vanwys rosigen Wangen und auf den blassen Städtergesichtern der anderen. Nell blickte zu Alice und Frank Hardy hinüber, die ruhig und ernst miteinander sprachen. Wie mochte es sein, dachte sie neidlos, wenn man so wie Alice war: groß, hübsch, klug und verlobt mit einem so vornehmen Mann wie Frank Hardy. Sie betrachtete auch ihre Cousine. Vanwy saß neben Taffy Evans, etwas entfernt von den anderen. Die beiden sprachen leise miteinander, und manchmal lachte Vanwy hell auf. Morgen muß sie wieder nach Merioneth zurück, dachte Nell. Morgen ist alles vorbei. Denn morgen war wieder Alltag, Arbeitstag. «Ich wünschte, es könnte immer so weitergehen», sagte sie zu Tom und fuhr ihm sanft mit einem langen Grashalm über das Gesicht.
    «Ja, warum auch nicht?» erwiderte Taffy Evans. «Wir sind doch noch jung, und es wird noch viele andere Sommer geben, oder?»
    Vanwy wandte den Kopf und sah ihn keck und herausfordernd an. «Für mich nicht. Jedenfalls nicht hier, in den häßlichen Midlands.»
    Er machte eine Faust und hielt sie ihr lachend vor das Gesicht.
    Und wieder herrschte schläfriges Schweigen. Man hörte nur das Summen der Bienen, das vorsichtige Flattern eines Wasservogels, das Schwirren der Mücken. Dann sagte Tom mit ruhiger Stimme: «Aber es wird nicht immer so weitergehen. Es wird nicht mehr lange so weitergehen.»
    In seiner Stimme war etwas, was Nell erschauern ließ. Sie setzte sich auf und sah ihm in die Augen. Doch jetzt sprach Frank Hardy.

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