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Und der Wind bringt den Regen

Und der Wind bringt den Regen

Titel: Und der Wind bringt den Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Malpass
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fallen. Er hätte sie gern zertreten, aber er gestattete sich nicht, dieser Gefühlsregung nachzugeben. Vorsichtig berührte er eine Blüte mit der Schuhspitze. Ein Blütenblatt, weißrosa und seidenleicht, brach ab und fiel vor den Kamin. Ein winziger Rußfleck störte seine Vollkommenheit. Frank Hardy betrachtete es. Alice sah er nicht an. Aus seiner Kehle kam ein rauher Laut — es war, als sei ihm in diesem Augenblick das Herz gebrochen. Er verließ das Zimmer und schloß ruhig die Tür hinter sich. Gleich darauf hörten die in der Küche Versammelten, wie die Haustür ins Schloß fiel. Alice stand da und starrte auf die Rosen.
     
    Aufgeregt kam Albert vom Pfarrer zurück. «Ich hab Frank draußen auf der Straße getroffen!»
    «Wo ist er hingegangen?»
    «Hat er nicht gesagt.»
    «Hast du ihn denn nicht gefragt?» erkundigte sich Edith scharf.
    «Natürlich hab ich gefragt», gab Albert ebenso scharf zurück. «Er ließ sich aber nicht zu einer Antwort herab.»
    Sie hätte bestimmt eine Antwort aus ihm herausbekommen, dachte Edith, was vermutlich auch stimmte.
    «Was hat der Pfarrer Persimmons gesagt?» fragte Opa besorgt.
    «Na, gefreut hat er sich nicht.»
    Opa sah bedrückt aus; die gute Meinung des Pfarrers war ihm mehr wert als Gold. «Was hat er denn gesagt?» fragte er kläglich.
    «Etwas für einen Geistlichen sehr Merkwürdiges», sagte Albert empört. «Er hat gesagt: Bei ’ner Beerdigung wäre es ihn noch nie passiert, daß ihn die Hauptperson im letzten Moment sitzenließ.»
    Allgemeine Entrüstung: «Wie kann er so was sagen!»
    Oma sagte plötzlich: «Unser Tom hätte so was nie getan. Geredet, ohne gefragt zu sein.»
    Früher hätte Nell das überhört. Jetzt fragte sie: «Was willst du damit sagen, Oma?»
    «Na, was er da geredet hat, von Alice und Weihnachten.»
    «Dafür hab ich ihn schon versohlt.»
    «Das bringt die Sache auch nicht wieder ins Lot», jammerte Oma.
    Opa nahm Albert beiseite. «Meinst du, der Pfarrer war richtig verärgert?»
    «Erfreut war er nicht», stellte Albert fest.
    Der alte Mann zog an seiner Unterlippe. «Ich könnte ihm vielleicht die Hälfte der Gebühren geben», überlegte er.
    «Warum kommt bloß Alice nicht raus», sagte Oma.
    «Bei der weiß man ja nie», sagte Edith gehässig. «Erzählt nichts. Nie weiß man, woran man mit ihr ist.»
    Nells Herz war voller Mitgefühl. Alice war jetzt sicher nicht nach einer munteren Unterhaltung mit der Familie zumute. Deshalb schenkte sie eine Tasse Tee ein und ging damit ins Wohnzimmer.
    Alice weinte - und war ärgerlich, daß ihre Schwägerin sie dabei ertappte. Sie bemühte sich, ruhig zu sprechen, als sie sagte: «Du hattest recht, verdammt noch mal. Ich habe ihn verloren.»
    Nell reichte ihr den Tee. «Zucker ist drin», sagte sie still.
    «Walter — den hätte er geschluckt, ohne Mühe. Aber nicht den Brief, den hat er mir nicht verziehen. Eine Nutte, das machte ihm nichts, aber eine, die lügt, wollte er um keinen Preis. Und das mir - wo mir Lügen selber so zuwider ist!»
    «Du bist der ehrlichste Mensch, den ich kenne», sagte Nell einfach.
    Alice nippte an ihrem Tee und blickte sie über den Tassenrand hinweg an. «Du bist ein guter Kerl, Nell. Viel zu gut für diese Familie.»
    Nell wurde rot vor Freude. Dann sagte sie bekümmert: «Wenn Benbow nicht gewesen wäre —»
    «Quatsch. Es war nicht Benbow, es war Min, die alte Kuh. Sie ist eine richtige Giftspinne.»
    Die Tür öffnete sich, und Opa schob sich ins Zimmer. «Alice, was ist denn bloß los? Ist es - aus?»
    «Ja, es ist aus, Dad.»
    «Ja, aber - für immer? Oder nur für heute? Ich muß doch dem Pfarrer irgendwas sagen.»
    Nell sagte: «Er hat deine eigene Tochter vor dem Altar sitzenlassen, Dad, und du fragst, was du dem Pfarrer sagen sollst!»
    «So brauchst du nicht mit mir zu reden, Nell», sagte der alte Mann gekränkt. Mit Nell mußte man in diesen Tagen vorsichtig umgehen.
    «Ich kann schon für mich selber eintreten, Nell, danke», sagte Alice.
    «Wie du meinst, Alice», gab Nell ruhig zurück und ging zur Tür. «Ich werde mal sehen, was Benbow macht.»
     
    Benbow war empört. Immer hatte ihn die Mutter aufgezogen, weil er so still war. «Was werden bloß die Leute sagen? Benbow hat sicher keine Zunge im Mund!» Nun hatte er mal geredet und war dafür versohlt worden. Als sie jetzt heraufkam und mit liebevollem Lächeln ins Zimmer trat, sah er sie mit einem Blick an, der sie mitten ins Herz

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